Als die Synagoge bebte - Avishai Cohen gibt berauschendes Konzert
Von Thomas Steierhoffer

Kurz bevor er das „Shalom
Alejchem“ anstimmt, das
Lied, welches so viel bedeutet
wie „Der Friede sei mit
Euch“ und das religiöse Juden immer
dann singen, wenn der Shabbat
beginnt, bittet Avishai Cohen doch
noch die Mutter mit ihrem schreienden
Baby zurück in die Synagoge
in der Berliner Rykestraße. Das
prall gefüllte, 110 Jahre alte Gotteshaus
im Prenzlauer Berg ist Veranstaltungsort
für das Abschlusskonzert
der „Jüdischen Kulturtage
Berlin 2014“. Zuvor hatte der Weltstar
am Kontrabass darum gebeten,
das Kind vor der Synagoge zu beruhigen,
denn es würde ohnehin
„nicht aufhören zu schreien“. Wahrscheinlich
war sich der Meister,
der von Chick Corea entdeckt und
in dessen Formation den endgültigen
internationalen Durchbruch erlebte,
selbst nicht ganz sicher, ob
sein traditionelles „Lullaby“ (Wiegenlied)
tatsächlich die Kraft haben
würde, den kleinen Schreihals in
den Schlaf zu singen.
Der israelische Bassist Avishai Cohen
verfügt über eine einzigartige
Stimme, die ihn in den letzten Jahren
zu einem der eindrucksvollsten
Jazzsänger auf der ganzen Welt
gemacht hat. Dazu kommt sein außergewöhnliches
Spiel am Kontrabass,
das Herbie Hancock, Wynton
Marsalis oder Jaco Pastorius
vom Hocker haut und mit denen
er gemeinsam spielt und aufnimmt.
Diesmal war es ein mehrfacher
Abschluss. Nicht nur die „Jüdischen
Kulturtage“ schlossen mit einem
Rekord von 29.000 Besuchern,
auch die Welttournee „Avishai Cohen
with Strings“ endete am 14.
September. Zudem verkündete der
sympathische und menschlich warme
Bandleader, dass die Zusammenarbeit
mit „Strings“ in dieser
Nacht ihr Ende finde. Gründe nannte
er nicht, jedoch seinen es „ausschließlich
positive“. Sein Streichquartett,
in dem es statt der zweiten
Violine eine zweite Bratsche gibt
und das durch eine Oboe ergänzt
wird, klang nicht nur grandios,
nein, es klang im Zusammenspiel
mit dem Bass, dem Piano und den
Drums wie aus einem Guss! Alle
Einsätze waren perfekt getimt, es
gab nicht einen einzigen Fehler.
Die Akustik in der sonst von der
Gemeinde als Bet- und Versammlungshaus
genutzten Synagoge war
nicht von dieser Welt, und den
Lichttechnikern gelang es mit sparsamsten
Mitteln, den Toraschrein
und die Mauern von Jerusalem mit
ihren Schabbesleuchtern so zu illuminieren,
dass im Zusammenspiel
aus Licht und Musik das „Himmlische
Jerusalem“ direkt herabgeholt
wurde ins nächtliche Berlin. Das
Haus tobte, das Publikum gab stehende
Ovationen, alle tanzten und
lachten, das Baby kam zurück.
Vielleicht träumte es jetzt von
jenem Wiegenlied?