Auf den Flügeln swingender Melodien - Zum Tod von Coco Schumann
Von Thomas Steierhoffer
Mit einem unter die Haut gehenden
Satz beschrieb Coco
Schumann einmal seine Situation:
„Ich bin ein Musiker,
der im KZ gesessen hat, kein
KZ-ler, der Musik macht!“ Er
war der erste Jazz-Musiker,
der in Deutschland nach
dem Zweiten Weltkrieg eine
elektrische Gitarre zum Klingen
brachte. Jetzt ist der
gebürtige Berliner im Alter
von 93 Jahren gestorben
Zunächst hatte sich Schumann
einen selbstgebauten
Tonabnehmer aus den Spulen
alter Wehrmachtskopfhörer
auf seine Gitarre geschraubt, später
griff er zur legendären „Les Paul“.
Mit Hilfe des Gitarrenbauers Roger
Rossmeisl konnte Schumann
seine akustische Jazzgitarre revolutionieren.
Aus dem reichlich vorhandenen
Elektronikschrott des Militärs bastelte
er sich zunächst einen Tonabnehmer,
dann einen einfachen
Verstärker. Da er nunmehr in der
Lage war, Jazz und Swing mit
dem „amerikanischen“ Klang einer
E-Gitarre zu spielen, wurde er
schnell zu einem gefragten Studio-
und Livegitarristen.
Mehr als 60 Jahre begleitete er
mit seiner Gitarre die Jazz- und
Popgeschichte in Deutschland.
Zwar stand er nie im vordersten
Rampenlicht, gehörte aber ohne
Zweifel zu jenen Musikern mit
dem besonderen Gefühl für den
Swing. Er war begabt mit dem
gewissen Etwas, das ihn stets von
seinen Kollegen mit dem sportlicheren
Zugang zum Instrument
unterschied. Sein Können lag eben
auch in den nicht gespielten Sekunden,
im kurzen Innehalten,
um dann fast spielerisch weiter
zu swingen. Kollegen wie Helmut
Zacharias und Til Brönner, Louis
Armstrong und Les Paul schätzten
seine ganz eigene Art, mit der er,
stets auch Entertainer, sein Publikum
verzauberte.
Fans sowohl in Berlin und Hamburg
feierten ihn mit Standing
Ovations. Schumann war nicht
nur der erste Musiker Deutschlands
mit einer elektrischen Gitarre,
er gehörte auch zu den ersten
Besitzern eines Tonbandgerätes.
Immer wieder lief es mit, bei Proben
und Auftritten. In der Regel
wurden diese Aufnahmen allerdings
wieder gelöscht, überspielt
oder sind auf anderen Wegen verloren
gegangen. Bis auf eine. Und
diese führt hinein in die Atmosphäre
des Berliner „Rex Casinos“,
in dem sich damals besonders
amerikanische GI’s amüsierten.
Zu hören ist das Publikum, Gläser
klirren und Cocos Combo spielt
zum Tanz und zur Unterhaltung.
Die Sound-Atmosphäre erinnert
an die Anfänge des von den Nazis
und später von den DDRKommunisten
als „Negermusik“ diffamierten
Swing, der im westlichen
Nachkriegsdeutschland eine
große Auferstehung feierte. Dabei
sind Schumanns Virtuosität und
seine kreative Spielfreude ein
wahrer Ohrenbalsam. Seine Musik
geht mitunter weit über den Swing
hinaus. So sind beispielsweise
auch klare Akzente in Richtung
Modern Jazz gesetzt.
Schumann war einer der letzten
Zeitzeugen des Holocaust. Sein
Weg führte ihn vom Berliner Jazz-
Underground zu den „Ghetto-
Swingers“ nach Theresienstadt
und Auschwitz. Hier musste er
zusammen mit anderen Jazz-Musikern
auf Befehl der SS das „La
Paloma“ spielen, wenn die aus
ganz Europa verschleppten Juden
in den Gaskammern bestialisch
ermordet wurden.
Heinz Jakob „Coco“ Schumann
war ein waschechter Berliner, der
hier am 14. Mai 1924 geboren
wurde. Aufgewachsen ist er als
Sohn einer jüdischen Mutter und
eines christlichen Vaters. Schon
in den 30-er Jahren kam er mit
den neu aufkommenden Musikrichtungen
Jazz und Swing in
Kontakt. Schumann lernte schnell,
Gitarre und Schlagzeug zu spielen
und engagierte sich bereits als
Jugendlicher in verschiedenen
Swingbands. Der Spitz- und
Künstlername „Coco“ entstand
in dieser Zeit, da eine französische
Freundin den Namen „Jakob“
nicht aussprechen konnte und ihn
kurzerhand „Coco“ nannte.
Obwohl nach der Machtübernahme
der Nationalsozialisten amerikanische
Musik wie Jazz und
Swing als „undeutsch“ galt, spielte
Schumann, der als „halbjüdischer“
Swingmusiker der Bedrohung
doppelt ausgeliefert war, noch bis
1943 unbehelligt Konzerte in Berliner
Clubs. Im März 1943 wurde
er verhaftet und ins Ghetto nach
Theresienstadt deportiert. Hier
gelang Schumann der Anschluss
an verschiedene Musiker, denen
es ausdrücklich erlaubt war, Jazz
und Swing zu spielen. Die Nazis
hatten Theresienstadt als Vorzeigeghetto
geplant, um der Welt zu
zeigen, wie gut sie angeblich die
jüdische Bevölkerung behandelten.
Im September 1944 wurde Schumann
zunächst nach Auschwitz-
Birkenau deportiert, im Januar
1945 nach Kaufering, einem Nebenlager
des Konzentrationslagers
Dachau. Von hier musste er zusammen
mit seinen Leidensgenossen
im April 1945 auf einen
„Todesmarsch“ in Richtung Innsbruck
gehen. Er hatte Glück. Die
Häftlinge konnten von amerikanischen
Soldaten befreit werden.
Am 28. Januar ist die große Jazzlegende
Coco Schumann in Berlin
gestorben. R.i.p.
