Beißt sich die Katze in den Schwanz? - Sparen auf Kosten der Alten und Kranken

Sparen ist angesagt. War es
schon Mitte / Ende der 90er
Jahre. Gerade so, als habe
man die Wirtschaftskrise vorausgesehen
– und den Umstand, dass
man Banken und anderen europäischen
Ländern horrende Summen
spendet, um diese vor dem Bankrott
zu retten.
Sparen war und ist also angesagt,
und warum sollte man das nicht
bei denen tun, von denen man sich
schon immer das Geld besorgt hat:
beim so genannten „Kleinen Mann“,
dem Bürger. Also hebt man die erhobenen
Steuern mal eben noch ein wenig an, spart einige
Beamtenstellen ein – unberücksichtigt
der Tatsache, dass ein erhöhtes Terrorrisiko
besteht, streicht man u.a. Polizeidienststellen,
aber wie cool sind die
neuen blauen Uniformen,
wie schön
die neuen Dienstwagen
in silbermetallic!
Und man
brachte eben unter
anderem Mitte /
Ende der 90er ein
neues Gesetz heraus, das die Pflege
alter Menschen regeln sollte.
Von „Pflegereform“ war die Rede,
„Pflegequalität“ erhielt ein neues
Gesicht, und wie bei jeder Neuerung
sollte es jenen helfen, die die Hilfe
benötigten. Letztlich profitiert aber
doch nur wieder der Staat.
Verzeihung, meine Damen und
Herren in der Politik! Ich bin überzeugt,
Sie meinten es damals nur
gut, als Sie dieses Pflegegesetz
verabschiedeten. Sicherlich waren
Sie überzeugt, das Richtige zu tun;
schließlich wissen Sie, was wir
unseren älteren und nicht selten
pflegebedürftig gewordenen Mitbürgern
zu verdanken und wie wir
uns ihnen gegenüber zu verhalten
haben. Darum zogen Sie vermutlich
auch kompetente Leute zur Ausarbeitung
des Gesetzestextes hinzu,
will ich meinen. Befragten Sie
außer Ärzten und Wissenschaftlern,
Psychologen, etwaigen Heimleitern
u.a. aber auch Altenpfleger, Angehörige
und Betroffene?
Manfred N. und seinen Sohn Tobias
jedenfalls nicht. Und auch nicht
Ulrike S. (Namen von der Redaktion
geändert), die als Praktikantin
in dem Heim anfing, in das Tobias
seinen Vater brachte, weil er es
nicht mehr verantworten konnte,
den alten Herrn alleine wohnen zu
lassen.
Manfred N. litt unter Schwindel
und war bereits mehrere Male gestürzt,
zuletzt so schwer, dass er
sich eine Oberschenkelfraktur zuzog.
Nach mehrwöchigem Krankenhausaufenthalt
hätte Tobias ihn
darum gerne zu sich genommen,
was aber nicht ging, da Manfred,
der seit Längerem auch unter Inkontinenz
litt, sich mit diesem Leiden nicht der Schwiegertochter
anvertrauen wollte, mit der er sich
ohnehin nicht sonderlich verstand.
Es kostete den Sohn Überwindung,
und er führte lange Gespräche mit
dem Vater, aber schließlich fühlten
sich beide wohler, als Manfred in
ein Seniorenbetreuungsheim einzog.
Allerdings fiel die Umstellung, die
dieser Schritt für den alten Herrn
bedeutete, nicht leicht. Zwar gab
sich das Pflegepersonal allergrößte
Mühe und behandelte ihn stets
freundlich – aber er fühlte sich
einsam. Aufgrund seiner Inkontinenz
wagte er sich kaum aus dem
Zimmer, so dass ein längeres Gespräch,
das Manfred gut getan hätte,
nicht zustande kam. Bis Ulrike S.
zu einem Praktikum in dem Heim
erschien. Bei Hilfestellungen, die
zu leisten waren, ließ sie sich mehr
Zeit als ihre Kollegen, und da sie
spürte, wie gut Manfred diese Momente
der Kommunikationen taten,
suchte sie ihn während ihrer Dienstzeiten
häufig auf. Anfangs. Denn
schnell mussten Manfred und die
junge Frau die Bedeutung des so
genannten „Pflegeschlüssels“ lernen.
Nicht lange nachdem Manfred in
das Pflegeheim eingezogen war,
hatte ihn ein Arzt vom Medizinischen
Dienst der Kassen (MDK)
besucht, ein kurzes Gespräch mit
ihm und ein längeres mit der Stationsleitung
geführt, und dann hatte
man ihn als „Pflegestufe I“ zertifiziert;
sein täglicher Hilfebedarf betrug
nicht mehr als 90 Minuten.
Und das Personal war entsprechend
des „Pflegeschlüssels“ so aufgeteilt,
dass es bei allen Pflegebedürftigen
in dem Heim genau die Arbeit verrichten
konnte, die der MDK bei
jedem Einzelnen erkannt hatte. Ulrike
musste also künftig auf die
langen Gespräche mit Manfred verzichten,
um allen Heimbewohnern
gerecht zu werden. Denn nur die
Arbeiten, die auch mit den Krankenkassen
verrechnet werden können,
können auch geleistet werden.
Die psychische Betreuung bleibt
also oft auf der Strecke, wie dieses
Beispiel zeigt. Aber gehört nicht
gerade auch die „geistige Pflege“
zur Altenpflege dazu?
Zum Glück wissen das viele Be-
treuer und nehmen sich auch einmal
Zeit, wo eigentlich gar keine ist,
Dank des Pflegegesetzes. Dafür
müssen sie sich aber aufgrund des
ohnehin stets zu eng bemessenen
„Pflegeschlüssels“ anschließend
doppelt schlagen, damit die Arbeit
getan wird.
Nun, meine Damen und Herren in
der Politik, haben Sie eine Freiwilligenarmee
auf die Beine gestellt,
wodurch auch der Zivildienst entfällt
und nur noch sozial engagierte
junge Menschen soziale Arbeiten
verrichten. Dabei haben Zivildienstleistende
nicht nur das ohnehin
überlastete Pflegepersonal oft
entlastet, sondern waren eben
auch wichtig im Hinblick auf
die psychische Betreuung alter
und kranker Menschen.
Bleibt zu hoffen, dass sich die
Katze nicht wieder einmal
selbst in den Schwanz beißt.