Der Blues des Präsidenten - Eine Annäherung an Vaclav Havel
Von Matthias Horwath

Es erscheint dem einfachen
Deutschen als schier unbezwingbare
Herausforderung,
einem Giganten wie Havel über
einen Zeitschriftenartikel auch nur
annähernd gerecht zu werden. So
nahe die Tschechische Republik,
also das Heimatland des kürzlich
Verstorbenen, am Südzipfel
Deutschlands liegt, so fern erscheint
es uns Deutschen in der kollektiven
mentalen Wahrnehmung, abgesehen
von einigen gängigen Klischees.
Angesichts der endlosen Diskussion
um unseren Bundespräsidenten
lohnt sich es dennoch, wenigstens
ein paar Schlaglichter auf Vaclav
Havel zu richten.
Die meisten von uns wissen, dass
Havel Schrifsteller war, und fast
jeder wird nichts von ihm gelesen
haben. Allein schon die Wahrnehmung
dieses Menschen als Geistesgröße
verlangt jedoch Respekt.
Respekt, weil er sich Gedanken
macht, für die er einsteht. Und Havel
steht ein. Havel genießt schon
den geistigen Schutz der westlichen
Öffentlichkeit, weil er dort publiziert
wird, jedoch nicht den körperlichen.
Havel sitzt ein, nach dem Prager
Frühling, mit drei Inhaftierungen
für insgesamt fünf Jahre! Seine
Gesundheit ruiniert er, seine Seele
nicht.
Havel stammt aus dem nach dem
Krieg enteigneten Prager Großbügertum,
wird als solcher im Stalinismus
von den Kommunisten vom
Bildungsweg ausgesperrt und geht
schlussendlich seinen sozialimustypischen
Sonderweg. Die berühmten
„Lucerna-Hallen“ am Pager
Wenzelsplatz wie die „Barrandov-
Fimstudios“ gehen auf familiäre
Wurzeln Havels zurück, aber Havel
muss sich als Chemielaborant mit
der Abendschule durchschlagen,
um die materielle und geistige Familienenteignung
kompensieren zu
können. Es spült ihn über diverse
Jobs in die technische Bühnennähe
von Prager Theatern, und letzlich
wird daraus eine Geburt. Die Geburt
seiner geistigen Heimat: Kunst,
Unangepasstheit, Selbständigkeit,
die Lust am Denken, gepaart mit
philosophischer Logik. Havel wird
zum geistigen Weltbürger in der
reichen kulturellen Vielfalt seiner
geschundenen Heimat. Er wird die
musikalischen Schutzheiligen kennenlernen:
The Doors, Jimi Hendrix,
Frank Zappa, Captain Beefheart,
die Rolling Stones. Sie sind
das überlebensnotwendige Gegengift
zur stalinistischen Indoktrination.
In seiner Heimat rumort es.
Die Früchte des Geistes wollen
ans Licht. Schrifsteller wie er, Theatermacher,
Musiker, Arbeiter, Wissenschaftler,
weltoffene Kommunisten
und die Leute des religiösen
Lebens kommen unaufhaltsam auf
ihren Weg.
Der Beschluss des Warschauer Paktes
im nahen Dresden wird dem
vielfältigen Leben bis Achtundsechzig
vorerst ein jähes Ende setzen.
Die Rote Armee kroch aus
den Wäldern und walzte nieder,
was ihr vor die Panzerketten kam.
Kollaborateure aus der tschechoslowakischen
Heimat wittern den
Erhalt ihres kleinen Vorteils. Das
Land ist, nur dreißig Jahre nach
dem deutschen Einmarsch, schon
wieder plattgewalzt, gespalten und
paralysiert.
Kräfte des Geistes und der kulturellen
Elite, Menschen, die sich
nicht länger vorschreiben lassen,
was sie lesen, hören oder glauben
sollen, lassen sich nicht mehr komplett
mundot machen. Prozesse und
Schauprozesse, ideoligische Repression,
Polizei, Stasi und Militärs
dringen mit ihren Werkzeugen nicht
mehr zu den Wurzeln des Widerstandes
vor. Wichtige musikalische
Verterter des neuen Eigensinns sind
die „Primitives Group“ und später
die „Plastic People Of The Universe“.
Sie werden vom Schriftsteller
Ivan Magor gegründet und
sind eine breit aufgestellte Antwort
des Eigensinns. Musiker, Lebens-
Künstler, Ärzte, Anwälte und viele
andere werden zum losen Bund.
Die Musiker der „PPU“, wie sie
bald genannt werden, beziehen sich
auf Velvet Underground, Frank
Zappa, Beefheart und andere Quellen.
Mit dem kandischen Sänger
Ray Wilson geben sie ab Achtundsechzig
Konzerte - offizielle erst,
später natürlich verbotene. Im Haus
Vaclav Havels nehmen sie ihre
legndäre LP „Egon Bondys Happy
Hearts Club Banned“ auf. Offiziell
erschient diese Platte nur im Westen,
genauer in Kanada und in
Frankreich. Die „PPU“ machen
keine vordergründige Politpropaganda.
Sie nehmen Texte von Egon
Bondy, Christian Morgenstern sowie
anderen Literaten und erspielen
sich mit ihrem eigenartigen Stil
den Ruf als „schwierigste Rockband
der Welt“. Bondy erweist sich später
als Zuträger der tschechischen Stasi.
Das engültge Verbot der Band 1976
führt unter maßgeblicher Beteiligung
Havels im Januar 1977 zur
Gründung der „Charta 77“. Im
deutschen Osten beginnt zu dieser
Zeit der kulturelle Exodus.
Mitglieder der „PPU“ werden ins
Gefängnis geworfen. Es wird, ähnlich
wie bei der Petition gegen die
Ausbürgerung Biermnannns und
dem Gegenaufruf für die Ausbürgerung,
eine Anticharta ins Leben
gerufen, die unter anderem von
Karell Gott unterzeichnet wird.
Doch der Wille des Volkes lässt
sich nicht mehr brechen. Repressionen,
Inhaftierungen, das Niederbrennen
oder Sprengen von
Übungsquartieren der „PPU“, die
Verfolgung und KZ-ähnliche Internierung
von Priestern, etwa im
Kloster Osseg, halten den Weg der
Freiheit nicht mehr auf.
Die Angebeteten von
einst kommen alle
Havel wird mit der samtenen Revolution
der neue und letzte Staatspräsident
der Tschechoslowakei.
Sein Ruf lässt sie nun kommen,
die Angebeteten von einst: Frank
Zappa, Mick Jagger, Lou Reed ...
Havel bleibt auch weiterhin der
Eigensinnige. Gegen den aufkommenden
Nationalismus im Lande,
dessen erster Vertrer Vaclav Klaus
als neuer Präsident schon ante
portas steht, setzt Havel sich für
die kritische Auseinandersetzung
seiner Nation mit ihrer Geschichte
ein. Der ewige Student Vaclav Havel,
der am 18. Dezember 2011
seine Augen für immer schloss,
ließ anläßlich seines 70. Geburtstages
die „Plastic People Of The
Universe“ noch einmal krachen:
nicht in Prag, in Berlin.