Der Dialog zweier Urväter des Rock - Eric Clapton & Steve Winwood live in Berlin, auf CD, Vinyl...
Von Matthias Horwath

Im auslaufenden Jahrzehnt der
so genannten „Golden Sixties“
kommen und gehen die Supergroups
der Rockgeschichte. Das
sind Bands mit sehr potentiellen
Musikern, die als Einzelstars ihre
Ausstrahlung gebündelt an das
Publikum weitergeben. Eine der
Supergroups des Westens sind
1969 die „Blind Faith“, eine kurzlebige
Nachfolgeband der ebenso
legendären „Cream“. Ihre Frontmänner
sind der Gitarrist und Sänger
Eric Clapton und der Sänger
und Multiinstrumentalist Steve
Winwood. Fürs Schlagwerk
brachte Clapton Ginger Baker von
„Cream“ mit, Bass und Violine
spielte Ric Grech von „Family“.
Clapton kommt aus der britischen
Bluesbewegung der frühen Sechziger.
Der zweite Weltkrieg war gerade
mal vor anderthalb Jahrzehnten
zu Ende gegangen. Die seelischen
Wunden der Väter und Mütter
sowie die ihrer Kinder finden
jedoch noch kaum die richtigen
Fragen, geschweige denn zufriedenstellende
Antworten. Der Blues
jedoch bringt in einzigartiger Weise
ein Lebensgefühl zwischen Vitalität
und Trauer auf den Punkt, wie
es sonst keine Kunstform vermag.
Die afroamerikanischen Bluesvorbilder
verloren in den Staaten mit
den fünfziger Jahren und dem
aufkommenden Rock’n’Roll an
Bedeutung. In England besinnen
sich aber viele Musiker der Wurzeln,
ihrer Routs. Sie spielen nun
als Weiße den schwarzen Blues und
bringen ihn in die Vereinigten
Staaten zurück. Zu ihnen gehören,
neben Alexis Corner und seiner
„Blues Incorporatet“ als wichtigste
Schule: John Mayall & The
Bluesbreakers sowie die Yardbirds.
Die Yardbirds sind eine Art
Talenteschuppen, deren erster Superstar
Clapton wird, beerbt von
künftigen Stars wie Jeff Beck und
Jimi Page, dem späteren Gitarristen
von Led Zeppelin. Weitere Stationen
von Claptons Laufbahn sind
vor seiner Solokarriere: The
Cream, Blind Faith, Derek and The
Dominos und John Lennons Plastic
Ono Band. Mit George Harrison
verbindet ihn nicht nur eine
Zusammenarbeit, sondern auch die
Liebe zu dessen Ehefrau...
Der Multiinstrumentalist und
äußerst begabte Sänger Steve Winwood
singt im jugendlichen Alter
mit „Keep On Running“ die Spencer
Davis Group zu Weltruhm.
Später drückt er auf Jimi Henrix`
„Electric Ladyland“ die Tasten für
den legendären Blues „Voodoo
Chile“. Sein eigenes Projekt wird
die Band Traffic. Sie spielen eine
vom Piano aus komponierte, feinsinnige
Musik. Saxophone, Flöten,
Gitarren und ziselierte Rhythmen
treiben den Folkrock mit langem
Atem. Winwood wird nun der
„Mozart der Rockmusik“ genannt.
Die Logische Konsequenz führt die
Ausnahmemusiker Clapton &
Winwood am Ende des Jahrzehnts
1969 zum Projekt „Blind Faith“
zusammen. Blind Faith bringen es
nur zu einem einzigen Album,
dessen Ruhm jedoch durch erstklassige
Songs und ein skandalöses
Cover bis heute ungebrochen
strahlt. Die Krönungsmesse des
Albums wird mit dem Stück „Do
What You Like“ zelebriert. Nach
sehr sehnsuchtsvollen, beinahe
zarten Einlagen von Orgel, Gitarre
und Bass entlädt sich das Schlagzeug
in einem furiosen Solo, zu
dem sich die Musiker orgiastisch
über das Thema „Do What You
Like“ vom Summen zum Schreien
steigern. Das Eigene wirklich zu
tun anstatt sich nur der Masse
anzupassen, war auch damals alles
andere als eine Selbstverständlichkeit!
Das Projekt „Blindes
Vertrauen“ findet aus vielen Ursachen
gespeist ein jähes Ende. Der
Zeitgeist der siebziger Jahre breitet
sich schon aus. Mit dem Ende der
Beatles ist auch das Ende der Su-
pergroups gekommen. Das Zeitalter
der Solokarrieren macht auch
vor Blind Faith nicht halt. Dennoch
soll es ein Versprechen gegeben
haben, das Potential der Blind Faith
noch einmal aufleben zu lassen.
Mit einer Zeitblende von fast
vierzig Jahren ist es 2008 im New
Yorker „Madison Square Garden“
soweit. Seit diesem furiosen Konzert,
als Doppel CD und als DVD
veröffentlicht, ziehen Clapton und
Winwood nun gemeinsam um die
Welt. In ihre Band holen sie teilweise
wechselnde Musiker, denn
Ginger Baker von den original
Blind Faith stand offenbar nicht zur
Wahl, Ric Grech lebt nicht mehr.
Mit dem Pianisten Chris Stainton
allerdings holten sie sich eine dritte
Größe auf die Bühne. Er war schon
der Bandleader bei Joe Cockers
Welttour „Mad Dogs And Englishmen“
von 1970.
Am 2. Juni 2010 konnten sich die
Berliner Fans in der O2-World von
der hohen Qualiät des Projektes
überzeugen. Ohne die geringsten
Starallüren, ohne peinliches Herumgehampel
und mit einer dezenten
Lichtshow brachten Clapton
und Winwood samt Band einen
sehr feinen Sound in die Halle. Es
wird für rund zweieinhalb Stunden
eine gelassene, aber unüberhörbare
Absage an die Verflachung der
Radiostationen und ihrer Background-
Industrie. Clapton und
Winwood spielen aus ihrem gemeinsamen
Repertoire ebenso wie
aus dem Fundus ihrer eigenen
Kompositionen. Ob elektrisch oder
an akustischen Gitarren, ob am
Flügel, der Hammondorgel, beide
Musiker beziehen sich in echten
musikalischen Dialogen aufeinander.
Höhepunkt des Konzerts ist
zweifelsohne die Zelebration von
Jimi Hendrix‘ „Voodo Chile“.
Beide Musiker interpretieren das
mehr als 15-minütige Stück nun auf
ihre eigene, sehr archaische Weise.
Hier sind keine verkalkten Oldie-
Musiker zu hören, sondern eine
Band aus reifen Persönlichkeiten.
Und die stellt eine Maßeinheit auf,
die den geklonten Babygesichtern
der VIVA- oder MTV-Industrie
einiges abverlangen dürfte. Die
Messlatte liegt jetzt sehr, sehr hoch.