Die Kraft der Musik oder die Stimme des Friedens - Abie Nathan und sein Piratensender im Mittelmeer
Von Thomas Steierhoffer
„Die denkende Welt ist
anders seit Gandhi. Und
sie ist auch anders, in
unserer Religion auf jeden
Fall, seit Abie Nathan.“
(Daniel Barenboim)

Er war naiv, er war härter als
jeder Soldat, er starb langsam
und stetig für den Frieden
und er blieb ein Held, den Millionen
bewunderten und vergaßen - weil
er nicht rechtzeitig umgebracht
wurde.
Hoffnung und Verlogenheit des
menschlichen Lebens spiegeln sich
in seiner Geschichte. Es war die
Zeit des geilen Soundtracks der
60er und 70er Jahre. Er war ein
Mann, der sich als Visionär aufmachte,
das Denken mehrerer Völker
zu verändern, während wir
Deutschen unsere zweite Diktatur
ertrugen und später abschafften.
Andere bekamen für seine Visionen
später den Nobelpreis. John Lennon,
George Harrison, Bob Dylan, Michael
Caine unterstützen ihn.
Er half Hunderttausenden, die ohne
ihn verreckt wären. Die Welt hat
ihn (fast) vergessen. Sein Name:
Abie Nathan. Er saß am Mikro
und verbreitete zehn Jahre nach
den englischen und holländischen
Piratensendern von einem Schiff
im Mittelmeer den Sound und die
Botschaft des Friedens.
Drei Meilen vor der Küste Israels
- also in internationalen Gewässern
- schipperte Abie Nathan mit seinem
schwimmenden Radiosender und
brachte den jüdischen Staat gegen
sich auf. Die Dokumentation „The
Voice of Peace - Der Traum des
Abie Nathan“, die von der ARD
Anfang Januar zu einer für solche
Perlen der Dokumentarfilmkunst
üblichen Zeit, nämlich spät in der
Nacht, ausgestrahlt wurde, zeichnet
ein komplexes Bild des Friedensaktivisten
als Playboy, Radiopirat,
Musik- und vor allem Menschenfreund.
Ab 1973 kurvte er mit seinem zu
einem Sender umgebauten Schiff
„The Voice of Peace“ vor der Küste
Israels herum, kritisierte von dort
aus die Palästinenserpolitik des
Staates und spielte den Sound der
60er und 70er Jahre. Das Schiff
hatte er in Amsterdam gekauft und
war mit ihm nach New York gefahren,
wo er für mehrere hunderttausend
Dollar eine Sendestation
mit allem nötigen Equipment einbauen
ließ. Auf der Rücktour vor
die israelische Küste ging ihm in
Marseille der Treibstoff aus, so
dass er festmachen musste. Die
Prostituierten der französischen
Hafenstadt schafften einen ganzen
Monat nur für Nathan und sein
Projekt an und übergaben ihm
schließlich das Geld. Nur so war
er in der Lage, die Tanks zu füllen
und seine Reise fortzusetzen.
Bald buchten alle wichtigen Konzerne
in Israel Werbespots in Nathans
Radioprogramm, die Einnahmen
wurden in Friedens- und Hilfsprojekte
investiert. Nur Coca-Cola
ignorierte „The Voice of Peace“.
Also ging Nathan auf Konfrontationskurs.
Er produzierte Spots, in
denen er die Vorzüge von Wasser
pries, präsentierte es als cool, er-
frischend und vor allem: kostenlos.
Bald tranken viele junge, konsumbewusste
Israelis nur noch Wasser.
Coca-Cola erkannte den schmerzhaften
Umsatzeinruch in Israel und
schaltete dann doch noch einige
Spots bei „The Voice of Peace“.
Eine Geschichte, die zeigt, was für
ein widersprüchlicher Charakter
Abie Nathan war. Politisch missachtete
er alle Regeln, man nannte
ihn einen Träumer. Allerdings nutzte
er alle Regeln des Unternehmertums,
um diese Träume Wirklichkeit
werden zu lassen. Ein Friedens-
Entrepreneur sozusagen.
Der NDR-Dokumentarfilmer Eric
Friedler hat Abie Nathan einen
Neunzigminüter gewidmet. Von
Yoko Ono bis Schimon Peres kommen
alle relevanten Mit- und Gegenspieler
zu Wort, die Tonspur
ist randvoll gepackt mit Musik.
Mit Songs von John Lennon oder
Gloria Gaynor, die übers Mittelmeer
nach Israel, Syrien, Ägypten und
den Libanon gesendet wurden. Aber
auch mit Stücken von Miles Davis
oder Elliott Smith und dem beglückenden
Polit-Soul von Curtis Mayfield.
Musik war offensichtlich der
Schlüssel zum Wirken Abie Nathans.
Wut, Schmerz, Aufbegehren
- der Lebenskünstler und Friedensaktivist
artikulierte sich über die
Mittel des Rock, des Beat und des
Pop. In den sechziger Jahren betrieb
Nathan in Tel Aviv das „California“,
wo sich die Schönen und die Kreativen
trafen. Hier war es der Lebemann
Abie Nathan, der dem gastronomisch
noch traditionell verhafteten
Israel mit der Einführung
des gegrillten Hamburgers eine
kleine kulinarische Sensation bescherte.
Zeitzeugen beschreiben
ihn als Charismatiker und Frauenhelden.
Wenn er die Szene betrat,
soll er sie beherrscht haben. In der
Hommage kommt auch der alte
deutsche Playboy Rolf Eden zu
Wort, der zu Nathans Schlag bei
den Frauen nur wissend lächelt.
Abie Nathan wuchs als persischer
Jude in Indien auf, trat dort als Jugendlicher
in die britische Royal
Air Force ein und wechselte später
zur israelischen Luftwaffe. Als
Bomberpilot in Israel flog er Einsätze,
bei denen Menschen getötet
wurden. Den Rest seines Lebens
wurde er von Schuldgefühlen geplagt.
Seine Friedensaktionen waren
auch ein Bemühen, die eigenen
bösen Geister auszutreiben. 1978
ging Nathan aus Protest gegen die
israelischen Siedlungen im Westjordanland
in den Hungerstreik.
1989 kommt es zwischen Friedensaktivist
und israelischen Politikern
zu einer weiteren Konfrontation:
Nathan trifft sich mit Palästinenser-
Führer Jassir Arafat, schüttelt
ihm vor Fotografen die Hand und
wird dafür 1991 inhaftiert. Schimon
Peres fungierte damals als Vize-
Premier. Fünf Jahre später bekommt
Peres gemeinsam mit Arafat und
Jizchak Rabin den Nobelpreis für
die Friedensbemühungen, die sie
gemeinsam in der Zeit nach der
Inhaftierung Nathans angestrengt
haben. Sie schütteln sich die Hand
und werden dafür gefeiert. „Nicht
er war seiner Zeit voraus, wir waren
unserer Zeit hinterher“, sagt Peres.
Mit den Erinnerungen und Einschätzungen
von Yoko Ono, Zubin
Mehta, Michael Caine, Schimon
Peres, Daniel Barenboim und anderen
internationalen Weggefährten
aus Politik und Kultur entreißt Eric
Friedlers Film Abie Nathan der
Vergessenheit und entdeckt für die
Nachgeborenen nicht nur einen
großen Freund der Menschen, sondern
auch einen mitreißenden, unermüdlichen
Ideenproduzenten,
charmanten Bohémien und einfallsreichen
Unternehmer. 2008
starb Abie Nathan verarmt und fast
vergessen. Sein ganzes Geld hatte
er in Hilfsprojekte gesteckt. Jetzt
wird dieser Held endlich geehrt.
In einer Live-Version des John
Lennon Songs „Give peace a chance“
wurde Abie Nathan lange schon
genannt, nur die Welt hatte die
Botschaft entweder nicht gehört
oder schlichtweg vergessen.