Die leisen und die weisen Töne - Dylans 37. Studioalbum
Von Thomas Steierhoffer

Bob Dylan wurde „für die
Folkpuristen mit der Hinwendung
zum elektrifizierten
Sound zum Verräter“,
schreibt die Süddeutsche Zeitung
anlässlich seines 75. Geburtstages.
Und sein neues Album, auf dem
er sich Sinatra-Songs widmet,
verstehe wohl auch nicht jeder.
Im letzten Jahr brachte Bob Dylan
mit „Shadows In The Night“ eine
Platte auf den Markt, die einzig
und allein seine Interpretationen
von Sinatra-Songs enthielt. Dieses
Projekt, mit dem sich der Sänger
vor dem großen amerikanischen
Entertainer verneigte, hat nunmehr
ein weiteres Album zu Tage gefördert:
„Fallen Angels“. Liebeslieder
stehen diesmal auf der
Agenda. Das Album wirkt im Verhältnis
zum Vorgänger noch ruhiger,
noch entspannter, einfach
total relaxed.
„Die neue Platte von Bob Dylan
ist in mancher Hinsicht eine alte
Platte von Bob Dylan. Und das
nicht nur, weil die zwölf Songs
für „Fallen Angels“ in genau jenen
Sessions eingespielt wurden, die
vor reichlich einem Jahr bereits
zu dem Album „Shadows in the
Night“ geführt hatten, mit dem
Dylan bei etlichen Begleitern für,
sagen wir mal, Irritationen sorgen
musste.
Nicht jedem wollte diese Sammlung
von Sinatra-Couplets gefallen.
Der eine oder andere mag in
seiner Enttäuschung gar „Judas“
gemurmelt haben. Der Vorwurf
des Verrats besitzt im Dylan’schen
Kontext ja eine schöne Tradition.
Vor fünfzig Jahren war es der
Verrat an Folksong und Protest.
Diesmal konnte man ihm den Verrat
an der Rockmusik schlechthin
anlasten. Schließlich rehabilitiert
er mit den neuen, alten Liedern
gleich einige jener Unterhaltungsgenres,
die zu zerstören, seine
Generation einst angetreten war“,
stellt Frank Junghänel in seiner
Rezension zu „Fallen Angels“ in
der Berliner Zeitung fest.
Dylan kreiert einen sehr speziellen
Sound, der in den Capitol Studios
von Los Angeles aufgenommen
wurde, in denen bereits Frank Sinatra
gearbeitet hatte.
Die hundertfach bewährten Musiker
seiner Tourband spielen bei
den Sessions live. Die Dynamik
entsteht durch die Positionierung
der Mikrofone im Raum, sehr gut
zu hören, wenn zum Beispiel im
Intro zu „Maybe You’ll Be There“
Donnie Herrons Bratsche von
ganz rechts auftritt oder in dem
schlurfenden „Polka Dots and
Moonbeams“ die gezupften und
getupften Gitarren nach der Eröffnung
des Tanzes in die zweite
Reihe treten. Für das Countryflair
nicht nur dieser Aufnahme sorgt
die überaus präsente Pedal-Steel-
Gitarre, die im Arrangement ganze
Bläsersätze ersetzt. Somit entsteht
ein wunderbarer Stereoklang, der
mal wieder deutlich macht, welche
raumfüllende Macht in zwei Kanälen
der Mastertapes schlummern.
Auf „Fallen Angels“ wird
diese Macht herausgelassen. So
entsteht ein fantastisch abgemischtes
Album mit gerade einmal
knapp 38 Minuten Laufzeit bei
12 Tracks. Offensichtlich geht
Dylan damit - wie übrigens schon
beim Vorgängeralbum - auf das
alte Zeitformat einer Langspielplatte
auf Vinyl zurück. Klar, zu
Sinatras Zeiten gab es noch keine
digitalen Tonträger. „Fallen Angels“
ist folgerichtig auf 140
Gramm Vinyl erschienen frei nach
dem Motto „Back to Black“. Natürlich
kann man es auch auf CD
oder als MP3-Download erwerben.
Bedauerlich jedoch, dass „Fallen
Angels“ ebenfalls wieder mit einem
relativ lieblosen Cover versehen
ist. Eigentlich bietet das
LP-Format enorme Möglichkeiten
für graphische Gestaltung. Die
sucht der geneigte Dylan-Fan jedoch
vergeblich. Es gibt keine
näheren Angaben zur Produktion
des Albums, geschweige denn ein
Booklett mit Fotos und Essays,
wie man es etwa in der legendären
„Bootleg Series“ bestaunen kann.
„Fairy tales can come true/It can
happen to you if you’re young at
heart“, singt Dylan, der vor ein
paar Wochen 75 Jahre alt wurde,
im Eröffnungsstück. Vielleicht
denkt er dabei auch an sich selbst.
Märchen werden wahr, wenn du
im Herzen jung bleibst. Frank Sinatra
hatte mit dieser Nummer
1953 einen Hit. Nochmal Frank
Junghänel: „Wenn Dylan das Lied
jetzt vollkommen unironisch vorträgt,
klingt da nicht nur seine eigene
Vergänglichkeit mit, das
wäre zu einfach gedacht, es ist so
etwas wie Lebensweisheit. Der
Mensch in seinem Sehnen und
Hoffen hat sich in den letzten
3.000 Jahren ja nicht groß verändert,
es sind die Zeiten, die sich
ändern, wie Dylan es ja selbst
einmal gesungen hat, es sind die
Moden. Nur weil die Lieder der
großen Songschreiber außer Mode
sind, heißt das ja nicht, dass sie
ihre tiefere Wahrheit verloren haben.
Und so ist das ganze Sinatra-
Projekt nicht so sehr ein Sinatra-
Projekt, sondern eine Hommage
an die Autoren jener Lieder.“