top of page

Ein Märchen, wie es nur das Leben schreiben kann - „Searching for Sugar Man“

Von Thomas Steierhoffer



Es gibt Märchen, die so märchenhaft

unglaubwürdig

klingen, dass sie ganz einfach

wahr sein müssen! Der schwedische

Dokumentarfilmer Malik

Bendjellou erzählt ein solches in

seinem Dokumentarfilmdebüt „Searching

for Sugar Man“. Auf der

Suche nach besonderen Geschichten

hatte er seinen Job in Schweden

gekündigt und war nach Südafrika

geflogen, um ins Blaue hinein zu

recherchieren. Durch einen Zufall

stieß er auf den Besitzer eines Plattenladens

in Kapstadt, der ihm von

einem amerikanischen Musiker erzählte,

der in Südafrika bekannter

sei als die Stones. Der Opener „Sugar

Man“ seines Debütalbums

„Cold Fact“ von 1970 sei zur Hymne

der südafrikanischen Antiapartheidbewegung

geworden, berichtete

der Musikkenner seinem schwedischen

Gast, denn „jede Revolution

braucht ihre Hymne“. Bendjellou

war vom ersten Akkord des Albums

so begeistert, quasi aus dem Häuschen,

horchte auf und begab sich

auf die Suche nach dem amerikanischen

Folk-Singer-Songwriter

Sixto Díaz Rodríguez.

Jede Revolution braucht

ihre Hymne

Der Mann, der über so viele Jahre

in Amerika und Europa vergessen

war, klingt wie Bob Dylan, Nick

Drake, Curtis Mayfield, Marvin

Gaye oder auch wie Donovan. Aber

er ist intensiver, offener und somit

authentischer als alle genannten

Künstler zusammen. Wenngleich

natürlich vom ersten Akkord klar

wird, dass Rodriguez ganz stark

von Dylan beeinflusst ist. Allerdings

findet er seinen eigenen, unverwechselbaren

Sound, seine eigene

Ausdrucksform, die nicht zuletzt

von seinen nahezu philosophischen

Texten getragen wird.

Der fast vergessene Rodriguez wurde

1942 in Detroit als Sohn eines

mexikanischen Einwanderers und

einer Indianerin geboren. Nach

dem Abschluss der High School

verdiente er seinen Lebensunterhalt

mit Auftritten in Kneipen seiner

Heimatstadt. 1967 nahm er seine

erste Single „I’ll Slip Away“ auf.

Der Produzent Clarence Avant, der

gerade sein Label Sussex Records

gegründet hatte, sollte sich fortan

um Rodriguez kümmern. Sein Folk-

Album mit selbstgeschriebenem

Material erschien 1970 unter dem

Titel „Cold Fact“ bei Sussex Records.

Trotz der positiven Kritiken

wurde die Platte ein kommerzieller

Misserfolg. Clarence Avant behauptet

in der Dokumentation allen

Ernstes, die Platte hätte sich in

Amerika ganze sechs Mal verkauft.

1971 erschien Rodriguez’ zweites

Album, das ebenfalls floppte. Warum

die einzigartige Musik in Amerika

keine Käufer fand, bleibt unklar.

Vielleicht zeichnet sich hier

der amerikanische Rassismus ab,

der mit einem Namen wie Rodriguez

nichts anfangen will, weil er

zu sehr nach „Latino“ klingt? Fest

steht, die Plattenfirma hatte dem

Musiker vorgeschlagen, sich „Rod

Riguez“ zu nennen, weil das amerikanischer

klingen und sich besser

vermarkten lassen würde.

Der Künstler wandte dem Musikgeschäft

den Rücken zu, arbeitete

zeitweise als Sozialarbeiter, an

einer Tankstelle und auf dem Bau.

Körperlich schwere Arbeit beim

Hausabriss oder bei Wohnungsauflösungen

in der heruntergekommenen

Metropole Detroit bestimmte

fortan sein Leben. Schließlich hatte

er seine Familie mit drei Töchtern

zu ernähren - guter Sound allein

reichte seinerzeit dafür nicht. 1981

absolvierte Rodriguez schließlich

ein Bachelor-Studium der Philosophie

und kandidierte bis 1989

mehrfach erfolglos für politische

Ämter in Detroit.

Ab Mitte der 1970er Jahre avancierte

Rodriguez in Südafrika, dem

damaligen Rhodesien sowie Australien

und Neuseeland zum Kultstar.

Eine amerikanische Touristin

und Musikliebhaberin hatte die

Platte in ihrem Gepäck nach Südafrika

mitgebracht. Radiomacher

und Plattenfreunde waren schließlich

über Kopien des Materials darauf

aufmerksam geworden. Nachdem

der Titelsong „Sugar Man“

seit Mitte 1972 regelmäßig im südafrikanischen

und australischen

Rundfunk gesendet wurde, erschien

1977 eine Best-of-Schallplatte mit

dem Titel „At His Best“.

Rodriguez erfuhr weder von seinen

Erfolgen, noch erhielt er auch nur

einen Cent Tantiemen. 1979 und

1981 holte ihn schließlich ein Veranstalter

für eine Reihe von Konzerten

nach Australien. Insgesamt

besuchten die ausverkauften Shows

rund 30.000 Zuschauer. Zu den

Auftritten erschien kurz nach der

Tournee das Album „Alive“.

Die primäre Rückkehr ins Privatleben

nährte seinerzeit Gerüchte

über seinen Tod. Rodriguez sollte

sich auf der Bühne bei lebendigem

Leib verbrannt oder erschossen haben.

Andere Gerüchte besagten, er

sei an Drogenmissbrauch oder Depressionen

gestorben. Die Fans des

Musikers waren sich einig, dass

Rodriguez unter nicht näher bekannten

Umständen zu Tode gekommen

sei.

Ersatz für Stars wie Jimi

Hendrix oder Bob Dylan

In den späten 1970er Jahren erlangten

seine Alben in dem von

der Apartheid geprägten Südafrika

vor allem als Raubkopien großen

Erfolg. Dort wurden seine teilweise

psychedelischen Texte als Protestlieder

interpretiert. Für die Jugend

Südafrikas war Rodriguez ein Ersatz

für Stars wie Jimi Hendrix oder

Bob Dylan. Rodriguez erfuhr davon

erst, nachdem er von dem südafrikanischen

Fan Stephen Segerman

aufgespürt worden war. Dieser hatte

1996 als Autor des Begleittextes

im Booklet zur CD anlässlich der

südafrikanischen Wiederveröffentlichung

von „Coming from Reality“

dazu aufgerufen, das Geheimnis

um das weitere Schicksal von Rodriguez

zu lüften. Segerman schaltete

eine Internetseite, und 1998 wurde

Rodriguez schließlich gefunden.

„Cold Fact“ und „Coming from

Reality“ erschienen neu. Der Film

„Searching for Sugar Man“ erhielt

2013 den „Oscar“ als bester Dokumentarfilm.

Leider hat Sixto Diaz Rodriguez,

der Ehrendoktor der Wayne State

University in Detroit, sein Konzert

Anfang April in Berlin abgesagt,

er spielt in diesem Frühjahr jedoch

in Paris, London und Warschau.

Hoffentlich sieht der wiedergefundene

Superstar jetzt endlich Geld.

0 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page