Ein Mensch, der lernen will - Mario Adorf in der Rolle seines Lebens
Von Thomas Steierhoffer

So, zurück aus dem Kino:
„Der letzte Mentsch“. Mario
Adorf verkörpert den alten
Kölner Juden Marcus, der ohne irgendwelche
Papiere und somit ohne
schriftlichen Nachweis seiner jüdischen
Herkunft auf der Suche
nach seiner Identität ist. Als Holocaustüberlebender
kann er einzig
die in seinen Unterarm tätowierte
Häftlingsnummer aus Auschwitz
vorweisen. Doch die auf ihren Traditionen
beharrenden Rabbiner in
Köln und später in Budapest erkennen
sie nicht an. Im gekarperten
BMW ihres russischen Freundes
chauffiert ihn eine bildschöne
Deutschtürkin (Katharina Derr) in
die ungarische Provinz, wo ihn
eine blinde Frau (Hannelore Elsner)
auf dem halb verfallenen, aber
noch in Betrieb befindlichen jüdischen
Friedhof bereits zu erwartern
scheint ...
Adorf spielt herausragend, manche
Kritiker sprechen gar von der „Rolle
seines Lebens“. Wie dem auch sei,
der Film ist ein stilles Meisterwerk,
das sehr sensibel hineinführt in die
fast vernichtete Welt des osteuropäischen
Judentums und dabei die
aktuelle politische Situation in Ungarn
mit ihrem seit Jahren wachsenden
Rechtspopolismus und Antisemitismus
nicht unbeachtet lässt.
Die Kamara drängt sich nicht auf
und liefert vielleicht deshalb eindringliche
und unter die Haut gehende
Bilder.
Einzig der Filmtitel „Der letzte
Mentsch“ erschließt sich nicht unmittelbar.
Ich dachte, das „Mentsch“
das jiddische Wort für „Mensch“
ist, da sich der greise Jude auch in
dieser Sprache unterhält und sein
Anliegen auf Anerkennung als Jude
vorbringt. Und ich lag richtig. Im
Internet fand ich diese Erklärung:
„Mentsch ist das jiddische Wort
für Mensch. So verwendet, beschreibt
es allerdings nicht nur
einen Menschen, sondern einen
Menschen, der lernen will, sich
wie ein Mensch zu verhalten. Einer,
der sich in einer angemessenen
und würdigen Weise verhält. Ein
Mentsch ist nicht perfekt, er kann
genauso fehlen, wie jeder andere
auch.“
Manchmal kommt sich Marcus wie
„Der letzte Mentsch“ vor. Der Franzose
Pierre-Henry Salfati („Tolérance“)
zeigt eine bewegende und
zugleich komische Reise in die
Vergangenheit, die den Regeln des
Roadmovies folgt. Ein überzeugender
Mario Adorf und die junge
Katharina Derr geben seinem Film
Seele und ein unverwechselbares
Gesicht. Ein Must-Watch!