Ein Rosenkranz des Rock’n’Roll - „The Lost Tapes“ von CAN erstmalig veröffentlicht
Von Matthias Horwath

Mit “the lost tapes” veröffentlichen
Ende 2012 die
Nachlassverwalter der
Kölner Band CAN in einer umfangreichen
CD/LP-Box bei Spoon
Records ein Vermächtnis. Aus einem
riesigen Pool von Bändern
des Can-Archivs wurden über drei
Stunden unerhörte Musik zusammengestellt.
CAN, 1968 gegründet, sind Nachkriegskinder
des Wirtschaftswunders.
Unter der goldenen Decke
des Vergessens wurde hier bekanntlich
geschwiegen über das, was
durch Nazideutschland wirklich
geschah. Die Täterkinder haben
aber Fragen, ohne wirkliche Antworten
zu erhalten. Die Fragen
werden spätestens ab 1967 aggressiver
und unüberhörbar. Sex, Drugs
& Rock’n’ Roll bringen verstärkend
eine lautstarke Jugendkultur mit
sich. Tausende von Nachfahren der
kriegerischen „Krauts“ lassen sich
nun zum Schock ihrer Eltern Matten
wachsen und gründen Bands mit
exotischen Namen wie Guru Guru
oder Amon Düül. Nichts soll mehr
an die spießige Gegenwart und das
verdrängte, mörderische Erbe erinnern!
Dem Schweigen der Eltern
wird nun bekifft, lautstark und
nicht minder militant getrotzt. Die
Schuhe der sanfteren Vorbilder aus
United Kingdom und Übersee jedoch
sind meist viel zu groß. Eine
der wenigen Ausnahmen davon
aus deutschen Landen sind CAN.
Manche ihrer Bandmitglieder studierten
bei Karlheinz Stockhausen
neue Musik. CAN imitiert keine
gängige Popmusik. Ihre Musik
wirkt mitunter kalt, berechnend
und emotionsarm, aber das mit
Kalkül. CAN wollten keinen Zuckerguss.
Ihre Klangsuche verwurzelt
sich in der E-Musik. Ihre Musik
bezieht sich auf die eigene Kultur,
ohne nationalistisch zu sein. Sie
erzeugten Studiolive wie auf der
Bühne immer wieder karge, freie
Klänge. Aber erst mit den dadaistischen
Wortfetzen und dem Babygebrabbel
des New Yorker Sängers
Malcom Mooney begann sich
ein hypnotischer Drive zu entwickeln,
auf den die Band immer
wieder adäquate Antworten fand.
Es reihen sich sinnfreie Wortfetzen
auf eine schier endlos betäubende
Rhythmik zu einem echten Rosenkranzgebet
des Rock’n’Roll. Denn
das Rosenkranzgebet ist nichts anderes
als ein Mantra.
CAN waren mit ihrer
Klarheit der Zeit
weit voraus
Das sorgsam ausgewählte und zusammengefügte
Archiv-Material von „the lost tapes“ beleuchtet den
schöpferischen Prozess der Band
zwischen 1968 und 1975, der ohne
zu agitieren sehr viel mehr politisch
ist, als es auf den ersten Blick
scheinen mag: eine Band aus der
rheinischen Provinz mit weißen,
afroamerikanischen und asiatischen
Mitgliedern, die nicht in fremde
Masken schlüpfen mussten, um
wer zu sein! CAN waren mit ihrer
Klarheit der Zeit weit voraus und
mit den frischen Sounds von „the
lost tapes“ sind sie es angesichts
einer faden Massenkultur und des
aktuellen Rassismus in Europa offensichtlich
noch immer.