Eine Legende kehrt zurück - Hallo 1-12
Von Thomas Steierhoffer

Als die Mauer im November
1989 endlich fiel, war
ich knapp 25 Jahre alt,
verheiratet und hatte zwei kleine
Kinder. Wir lebten damals in Berlin-
Buch, wo ich als Krankenund
OP-Pfleger im Klinikum Buch
arbeitete. Den ganzen Tag lief auf
der Station oder im Operationssaal
„RIAS 2“, sehr zum Verdruss von
Oberschwester Erika, die als
stramme SED-Genossin gegen
die „ideologische Kriegsführung“
des Klassenfeindes zu Felde zog.
Sie hatte keine Chance, denn meine
Kolleginnen, Kollegen und ich
lehnten die Musik der DDR und
des gesamten Ostblocks kategorisch
ab! Das Interesse an ihr
sollte erst viele Jahre später geweckt
werden. Nämlich mit dem
angeblichen Siegeszug der CD
über die Langspielsplatte aus Vinyl.
Plattensammlungen
in den Müll geworfen
Viele Musikfreunde der Wendezeit
warfen damals ihre Plattensammlungen
in den Müll und wandten
sich komplett den digitalen Nachfolgern
zu. Sehr zur Freude von
Händlern, die die schwarzen Scheiben
entweder direkt aus den Tonnen
angelten oder für einen Apfel
und ein Ei spottbillig erwarben.
Als Plattensammler seit meiner
frühen Jugend ergaben sich nun
sehr preiswerte Möglichkeiten,
die Musik des Ostens aus historischer
und musikkritischer Perspektive
sowie vor allem frei von
kommunistischer Indoktrination
kennenzulernen. Eines Tages
schlenderte ich mal wieder über
einen Flohmarkt im Prenzlauer
Berg, wo ganze Sammlungen des
volkseigenen Plattenlabels AMIGA
feilgeboten wurden. Eigentlich
suchte ich nur eine einzige Ausgabe
der Reihe „Hallo“, nämlich
Nr. 7, weil darauf das Stück „Grünes
Brückchen“ der polnischen
Band NO TO CO als Opener enthalten
war. Dieser Song hatte es
einem Freund aus Greifswald in
dessen Jugendzeit sehr angetan.
Während unserer ständigen Diskussionen
über Musik erwähnte
er den Song und bat mich, das
Album zu suchen und zu kaufen.
Nun, ich fand es an jenem Sonntag
auf dem Flohmarkt im Prenzlauer
Berg. Der Händler bot die gesamte
Hallo-Reihe von Nr. 1 bis Nr. 12
an und meinte: „Nee, die Serie
verkaufe ich nur komplett!“ Ich
fragte ihn, was er dafür haben
wolle? Wir feilschten ein wenig
herum und einigten uns schließlich
bei 30 DM für 12 recht gut erhaltene
und vor allem mit den Textbeilagen
versehene Schallplatten.
Plötzlich war ich im Besitz der
aus heutiger Sicht besten und
wichtigsten Compilation osteuropäischer
Musik aus den Jahren
von 1972 bis 1976. Der Kauf
hatte sich sehr gelohnt, denn nun
lag ein breites Spektrum Musik
auf meinem Plattenteller, die ich
einige Jahre zuvor nicht einmal
mit der Kneifzange hätte anfassen,
geschweige denn anhören wollen.
Jetzt hat sich das Plattenlabel
„Buschfunk“ der gesamten Kollektion
angenommen und „Hallo
1-12“ sowie die Nachfolgealben
„Hallo 1/74“, „Hallo 1/75“, „Hallo
2/75“ und „Hallo 1/76“ in einer
liebevoll restaurierten 16 CD Box
plus Poster neu herausgegeben.
Viele der DDR-Rockbands erschienen
in dieser Reihe zum ersten
Mal auf Tonträgern, teilweise
sind ihre Songs nur im Rahmen
dieser Serie (Renft, Puhdys, electra,
Bayon, Joco Dev Sextett, Bürkholz-
Formation u.a.) veröffentlicht
worden. Dazu war „Hallo“ auch
ein Sprungbrett für Bands aus
den sogenannten Bruderländern.
Die Reihe erlangte rasch Kultstatus
und gilt bis heute als die erste
und innovativste Sampler-Reihe
von AMIGA. Die 16 CD Box ist
ein einzigartiges Dokument der
Rockmusikgeschichte hinter Mauer
und Stacheldraht und macht
deutlich, dass es auf dem Gebiet
der Rockmusik im Osten durchaus
keinen Mangel gab an Kreativität
und Auflehnung gegen Zensur
und Borniertheit. Die Box darf
heute in keiner ernstzunehmenden
Plattensammlung fehlen!