Fast die ganze Familie wurde ermordet - Mit dem Buddhisten und Cellisten Sonny Thet im Gespräch
Ein Interview von Thomas Steierhoffer
Sonny Thet ist ein Ziehsohn des kambodschanischen Königs
Sihanouk. 1969 wurde Thet auf Anweisung seines Ziehvaters
nach Weimar geschickt, um dort Cello zu studieren. Bald schon
gehörte der Musiker zur von Christoph Theusner gegründeten
Band „Bayon“, die bereits „Weltmusik“ spielte, als es den Begriff
noch gar nicht gab. Der PANKE-SPIEGEL traf sich mit dem
Musiker und gläubigen Buddhisten in seiner Berliner Wohnung,
um über den Terror der Roten Khmer in Kambodscha, die DDR
und die Musik zu sprechen

Vater und Sohn: Sonny und Anthony Thet
PANKE-SPIEGEL: Sonny, es
wird unter Musikern und Fans viel
erzählt über Deine Wurzeln und
Deine Herkunft. Was ist dran an
all den Geschichten?
Sonny Thet: Jeder weiß, dass Prinz
Sihanouk in Frankreich studiert
hat, denn er liebte die klassische
Musik. Ich hatte das große Glück,
von ihm damals nach Weimar gesandt
zu werden. Schon als kleines
Kind hatte ich den Wunsch, Cello
zu spielen. Da mein leiblicher Vater
Großgrundbesitzer und zugleich
Musiker am königlichen Hof war,
gehörten wir zur Elite des Landes.
Prinz Sihanouk förderte viele junge
Leute aus diesen Kreisen, zu denen
ich dann auch gehörte. Ziel meines
Ziehvaters war es, die Jugend nach
klassischem Vorbild auszubilden
und so auf spätere Aufgaben am
Königshof und in der kambodschanischen
Regierung vorzubereiten.
Bis zu seinem letzten Atemzug hat
Sihanouk komponiert und gesungen.
Er hatte sogar seinen eigenen
Sender in Kambodscha und liebte
die Musik abgöttisch. Er entschied
sich, mich nach Weimar zu schicken,
weil ihn die CIA seinerzeit
unter Druck setzte. Kambodscha
war damals noch neutral, und der
amerikanische Geheimdienst verlangte
von ihm, sich entweder für
Rechts oder für Links zu entscheiden.
Er entschied sich für die linke
Politik, ohne dabei Kommunist zu
werden. Und so kam ich eben nicht
nach Amerika zum Studium, sondern
ging in die DDR - nach Weimar.
Ich war damals knapp 16
Jahre alt.
PANKE-SPIEGEL: Wie hast Du
die DDR erlebt?
Sonny Thet: Wenn ich jetzt von
einem Kulturschock spreche, klingt
es vielleicht böse, aber es war wirklich
so. Schließlich kam ich aus
einem Land, das Ende der 60er
Jahre zu den modernsten in Südostasien
gehörte. Die DDR war
gerade im Aufbau. Für mich selbst
war das alles jedoch nicht so
schlimm, ich sollte hier ja nur fünf
Jahre studieren und dann wieder
zurückgehen nach Kambodscha.
Bestimmt wäre ich dann Kulturminister
geworden. Allein der Tatsache,
dass ich in der DDR war,
ist es geschuldet, dass ich den
Terror der Roten Khmer überlebt
habe.
PANKE-SPIEGEL: Konntest Du
reisen oder warst Du ebenso eingesperrt
wie viele Deiner Kommilitonen?
Sonny Thet: Ja, wir waren frei
und konnten reisen. Es war anders
als beispielsweise bei den Mitstudenten
aus Vietnam. Kambodscha
war neutral. Ich hatte ein königliches
Stipendium und einen königlichen
Pass und konnte überall hin,
kreuz und quer durch Europa.
PANKE-SPIEGEL: Wie ging es
nach dem Sturz von König Sihanouk
für Dich weiter?
Sonny Thet: Die Absetzung passierte
natürlich mit Hilfe der CIA.
Danach hatte ich kein Geld mehr
und musste die Band „Bayon“
gründen. Ich weiß nur, dass mein
Ziehvater bei der DDR-Regierung
anfragen ließ, ob seine Ziehkinder
- wir waren einige - weiter in der
DDR studieren könnten. Die DDR
sagte zu, allerdings ohne Stipendien
zu vergeben.
PANKE-SPIEGEL: Was hast Du
empfunden, als Du von den
Greueltaten der Roten Khmer unter
Pol Pot gehört hast?
Sonny Thet: Ich muss dazu sagen,
dass Pol Pot damals keinerlei Nachrichten
nach außen dringen ließ.
Wir wussten nur, dass Kambodscha
im Kriegszustand war, aber niemals
war etwas im Fernsehen zu sehen.
Ich habe mich deshalb voll auf
mein Studium konzentriert, wenngleich
meine Gedanken schon häufig
in meiner Heimat waren. Erst
viel später erfuhren wir, dass so
viele Millionen Menschen umgebracht
wurden und eine „Kulturrevolution“
nach chinesischem Vorbild
realisiert worden war.
Die gesamte Opposition
wurde ausgerottet
Die gesamte Opposition und alle
Intellektuellen wurden ausgerottet.
Hätte ich das damals schon gewusst,
hätte ich nicht lernen und nicht
studieren können. Erst 1980 habe
ich gehört, dass fast meine ganze
Familie umgebracht wurde, weil
wir auch zum Königshaus gehörten.
Damals hatte ich meine Briefe an
die Familie Egon Krenz und Reinhold
Andert, die nach Phnom Penh
geflogen waren mitgegeben. Du
konntest ja nicht einmal Briefe per
Post schicken. Reinhold Andert,
mit dem ich befreundet war, suchte
tatsächlich nach meiner Familie.
Einen einzigen leiblichen Onkel
von mir konnte er ausfindig machen.
Der war schon Richtung
Thailand geflüchtet. Dieser Onkel
ist der jüngste Bruder meiner Mutter.
Alle anderen Mitglieder meiner
Großfamilie wurden ermordet.
PANKE-SPIEGEL: Was war denn
eigentlich das Ziel dieser kommunistischen
Verbrecherbande Rote
Khmer?
Sonny Thet: Die wollten aus Kambodscha
ein Land im „Steinzeitkommunismus“
machen. Alle Ländereien
wurden enteignet, große
Maschinen beseitigt, die Menschen
sollten von Null anfangen, wirklich
wie aus der Steinzeit heraus. Zielgruppe
waren die vielen armen
Leute, die nicht lesen und schreiben
konnten. Mit massiver Propaganda
sind die Khmer von Dorf zu Dorf
gezogen und haben ihre Ideologie
unter das Volk gebracht.
PANKE-SPIEGEL: Gibt es heute
so etwas wie Aufarbeitung desfurchtbaren
Terrorregimes? Vergleichbar
etwa mit dem, was in
Deutschland in Sache Stasi passiert?
Sonny Thet: Ja, es werden vorsichtige
Versuche unternommen,
um der Öffentlichkeit zu zeigen,
was damals passierte. Aber komischerweise,
immer dann, wenn
einer der Mörder zur Vernehmung
einbestellt werden soll, stirbt er
zwei, drei Tage zuvor. Das war
schon bei Pol Pot selbst so.
Kambodscha hat zwar heute wieder
einen Premierminister, aber alle
Positionen in der Regierung sind
von ehemaligen Khmer besetzt.
Wenn du heute etwas gegen die
Regierung sagst, bist du auch ganz
schnell weg von der Bildfläche.
Wenn ich nach Hause fahre, kann
ich mich nur in Begleitung von
Leibwächtern bewegen, weil ich
meinen Mund nicht halten kann.
PANKE-SPIEGEL: Ich möchte
jetzt gerne über „Bayon“ sprechen.
Wie kam es zur Gründung dieser
Band, die musikalisch und textlich
aus meiner Sicht so gar nichts mit
der DDR zu tun hatte?
Sonny Thet: Der Musikjournalist
Olaf Leitner hat einmal so schön
gesagt, „Bayon“ haben Weltmusik
gespielt, als es den Begriff „Weltmusik“
noch gar nicht gab. Der
musikalische Stil der Band hat sich
ganz einfach daraus entwickelt,
dass mehrere Nationalitäten zusammen
spielten: Kubaner, Kambodschaner
und Deutsche.
Diese Kombination aus drei Erdteilen
brachte es mit sich, dass
jeder die Einflüsse aus seiner Heimat
hineingab. So konnten wir
schon sehr früh unseren ganz eigenen
Stil finden. Und das hat bis
heute Bestand. Wenn ich meine
Soloprogramme spiele, sind es häufig
noch immer die Motive von
Bayon, die ich variiere und improvisiere.
Das, was wir können, haben
wir immer gespielt, weil der Stil
natürlich auch die Identität bestimmt.
PANKE-SPIEGEL: Bayon konnten
unter dem volkseigenen Label
„Amiga“ drei Platten veröffentlichen.
Wie war das möglich?
Sonny Thet: Wir haben nie bei
„Amiga“ direkt produziert. Aber
es war Pflicht für alle Bands aus
der DDR, einmal im Jahr für den
Rundfunk zu produzieren. Dieses
Material wurde dann von „Amiga“
auf drei LPs veröffentlicht. Die
ganzen Gremien und Behörden
wollten uns damals nicht wirklich
haben., denn wir wollten in unseren
Texten unpolitisch bleiben. Wir haben
uns nie angepasst und blieben
deshalb immer Außenseiter.
PANKE-SPIEGEL: Es gibt diese
wunderbare Passage in einem der
Stücke von Bayon: „Mädchen, du
musst noch warten, bis ich mit
dem Studium fertig bin. Dann kauf’
ich dir ein Plastikauto mit einem
Brautkranz drin ...“ Ging es der
Band immer auch um das Hören
zwischen den Zeilen?
Sonny Thet: Die Melodie gab es
bereits in einem kambodschanischen
Volkslied. Und ich habe mir
den Spaß gemacht, diesen Text
dazu zu bringen. Ich muss sagen,
dass ich es an der DDR geliebt
hatte, dass wir zweideutig schreiben
mussten. Es war anders als im
Westen, wo alles immer so direkt
oder frontal rüberkommt. Die Zweideutigkeit
hat mir seinerzeit richtig
Freude bereitet. Das bezeichne ich
als Kunst! Denn es ist eine ganz
andere Herausforderung als das
plakative Herangehen, das wir heute
sehr oft erleben.
PANKE-SPIEGEL: Was macht
Sonny Thet heute? Gibt es aktuelle
Projekte?
Sonny Thet: Ich bin oft Solo unterwegs.
Beispielsweise auf Ärztekongressen
oder thematischen
Veranstaltungen. Und das sehr häufig
in Kanada und den USA. Auch
arbeite ich immer wieder mit Dirk
und seinen „Die Zöllner“ zusammen.
Das Zusammenspiel mit meinem
Sohn Anthony ist mir derzeit
jedoch am liebsten. Wir arbeiten
gerade als Vater-Sohn-Projekt an
einer gemeinsamen CD und wollen
damit auch zusammen auf Tour
gehen.