Frohe Kunde: Wir haben einen Papst
Von Thomas Steierhoffer

Die weit mehr als hundert
Kardinäle aus der ganzen
Welt, die nach dem Kirchenrecht
allein berechtigt sind,
den Papst aus ihrer Mitte zu wählen,
sind nach Rom gekommen. Gebeugt
von den Jahren und der Last
der Ämter und Würden ziehen sie
ein in die Sixtina, wo sie unter
Michelangelos Fresko vom Jüngsten
Gericht das Konklave abhalten
werden. Auf ihrer Prozession durch
den Vatikan hinein in die Sixtinische
Kapelle singen und beten sie und
rufen die Heiligen der Kirche um
Beistand und Erleuchtung an. In
Großaufnahmen zeigt der italienische
Regisseur Nanni Moretti die
alten Männer mit ihren meist roten
Gewändern und den Bauchbinden,
die Zeichen der Macht und des
rechten Glaubens sind. Das Konklave,
also die den Papst hinter
versiegelten Türen wählende Versammlung,
gilt als eines der letzten
großen Geheimnisse in unserer aufgeklärten
Welt mit den atemberaubenden
Möglichkeiten der
Echtzeitkommunikation.
Nichts, aber auch gar nichts darf aus der Sixtina
während und nach einer Papstwahl
nach draußen dringen! Die Kardinäle
schwören Verschwiegenheit,
die Stimmzettel werden nach jedem
Wahlgang verbrannt. Meistens mit
nassem Stroh, so dass schwarzer
Rauch aus dem berühmten Schornstein
steigt, auf den die Menschen
auf dem Petersplatz in diesen Tagen
wie gebannt starren. Doch dann -
die Kardinäle konnten sich auf
einen Kandidaten aus ihren Reihen
einigen - steigt weißer Rauch auf,
und der Welt wird durch den obersten
Zeremoniar des Vatikans von
der Loggia in St. Peter verkündet:
„Annuntio vobis gaudium magnum;
habemus Papam!“
Zwar ist Kardinal Gregori (Renato
Scarpa) zunächst der große Favorit,
kann sich aber nicht durchsetzen.
Als zur großen Überraschung aller
Kardinal Melville (Michel Piccoli)
zum neuen Papst ausgerufen wird,
beginnt der Ärger für den Vatikan.
Kurz bevor das designierte neue
Oberhaupt auf dem Balkon über
dem Petersplatz als neuer Papst
ausgerufen werden soll, bekommt
der Kardinal eine Panikattacke und
flüchtet vor der Bürde seines Amtes.
Der Vatikan hält die Wartenden tagelang
hin, ist aber erstmal blamiert.
Ein Psychiater, dessen Rolle Regisseur
Nanni Moretti selbst spielt,
soll den depressiven Melville wieder
so stabil machen, dass er seine
Würde und deren Last tragen kann.
Doch die Prozedur zieht sich hin.
Als Melville entgegen aller Regeln
erlaubt wird, die Residenz zu verlassen,
entwischt er seinen besorgten
Leibgardisten und verschwindet
im brodelnden Kessel des abendlichen
Rom. Die verzweifelte Suche
bleibt ergebnislos, im Vatikan bricht
Panik aus. Die Wartenden auf dem
Petersplatz und die Gläubigen auf
dem Erdkreis vermuten derweil
schon längst, der gewählte Papst
sei tot ...
Nanni Moretti ist nicht gerade ein
Vielfilmer. Mit „Habemus Papam“
hat er nunmehr gerade mal seinen
dritten Kinofilm gedreht. Das Drama
„Das Zimmer meines Sohnes“
(2001) brachte ihm die Goldene
Palme ein, und mit der Berlusconi-
Satire „Der Italiener“ (2006)
war er einmal mehr für die höchste
Auszeichnung in Cannes nominiert.
Die Frage, was der Italiener mit
„Habemus Papam“ eigentlich im
Schilde führt, ist schnell beantwortet.
Ein formal strenges Drama
über das Konklave?
Eine
Komödie, die
sich über die
katholische Kirche
lustig macht? Oder, bei Moretti
naheliegend, eine beißend-gallige
Satire über eine möglicherweise
nicht mehr zeitgemäße Institution?
Nein, all das Offensichtliche interessiert
den Filmemacher nicht.
„Ich habe nicht versucht, der Öffentlichkeit
das zu erzählen, was
alle hören wollten“, betonte Moretti
in Cannes.
Sein stilsicheres Werk ist mehr Komödie
als Satire, selbst wenn einige
bissige Spitzen zu finden sind. Die
Kunst besteht hier darin, die dramatische
Fallhöhe trotz des komischen
Grundtons nicht zu vernachlässigen.
Akribisch zeichnet Moretti
das Zeremoniell des Konklave nach,
ohne es satirisch anzugreifen oder
zur Belustigung freizuzugeben. Er
hat Respekt, selbst wenn er nicht
daran glaubt. In der Filmgeschichte
hat es wohl nur einen noch tiefer
unter die Haut gehenden Versuch
gegeben, durch die Schlüssellöcher
der versiegelten Türen zur Sixtinischen
Kapelle zu blicken: „In den
Schuhen des Fischers“ nach dem
Roman von Morris L. West. Anthony
Quinn spielt hier den aus
dem sowjetrussischen Gulag befreiten
Erzbischof von Lemberg,
der später zum Papst gewählt werden
soll und sich fortan „Kyrill I.“
nennt.
In Morettis Film wechseln sich
Komödie und Drama ab, ohne sich
gegenseitig im Weg zu stehen. Die
stimmungsvolle Photographie von
Allessandro Pesci unterstreicht Morettis
Vision, von einem Frontalangriff
auf die Kirche abzusehen
und stattdessen zu unterhalten sowie
gleichermaßen zu berühren. Der
französische Altstar Michel Piccoli
(*1925) ist ein würdiger Papst-
Mime, strahlt die Legende doch
die gewünschte Mischung aus Verzweiflung,
Verwirrung und Stolz
aus.
Neben der Regie und dem Drehbuch
spielt Nanni Moretti auch
gleich noch eine der tragenden
Rollen des Filmes und lebt als Psychiater
und Analytiker des Papstes
seine Exzentrik in vollen Zügen
aus. Hier prallen der Glaube und
die Psychoanalyse wie Feuer und
Wasser aufeinander. Um der Langeweile
vorzubeugen, denn all die
Kardinäle dürfen das Konklave erst
dann verlassen, wenn der neue
Papst ausgerufen ist, organisiert
der Papst-Psychiater für sie alle
ein internationales Volleyball-Turnier.
Die Szenen wirken witzig und
eigentlich naheliegend, driften dann
aber stark ins Surreale ab. Wenn
„Habemus Papam“ eines nicht ist,
dann ein inoffizieller Nachfolger
des Dramas „Von Menschen und
Göttern“, das 2010 in Cannes den
Großen Preis der Jury gewann.