Hauptsturmführer im Ehrenamt
Von Christian Knoche

Wir alle sind mehr oder
weniger vertraut mit der
Geschichte des Dritten
Reichs. Was ich mich während der
schier endlosen Filme und Dokumentationen
zu diesem Kapitel
deutscher Geschichte immer wieder
gefragt habe ist, wie man Menschen
dazu bringt, grausame Dinge zu
tun. Der irische Philosoph und
Politiker Edmund Burke hat es so
beantwortet: „All it takes for evil
to triumph is for good men to do
nothing.“
Das beschränkt sich zwar nicht
ausschließlich auf die Nazi-Zeit,
ist aber Gegenstand des Filmes
„Good“ aus dem Jahr 2008. Ich
kann mich auch nachdem ich dieses
Werk zum dritten Mal angesehen
habe nicht entscheiden, ob ich es
gut oder schlecht finden soll. An
dieser Stelle kommt mir beinahe
zwangsläufig eine Kreatur in den
Sinn, die Michael Ende in seinem
wunderbaren Buch „Der satanarcheolügenialkohöllische
Wunschpunsch“
erfand, nämlich das sogenannte
Büchernörgele. Er beschreibt
es als „ein besonders scheußliches
kleines Monster, […] im Volksmund
auch Klugscheißerchen oder Korinthenkackeri
genannt. Diese kleinen
Geister verbringen normalerweise
ihr Dasein damit, dass sie
an Büchern herumnörgeln.“
Kritik ist immer
deutlich leichter
Dass dieses Büchernörgele in der
Illustration unverkennbar die Gesichtszüge
eines bekannten deutschen
Literaturkritikers mit jüdischpolnischen
Wurzeln trägt, dürfte
dem Umstand geschuldet sein, dass
Michael Ende als vermeintlicher
Kinderbuchautor wohl viel mit
nicht immer fairer Kritik zu kämpfen
hatte. Zusätzlich kann man
wohl auch noch anbringen, dass
Ende zum Zeitpunkt der grandiosen
Ansprache besagten Kritikers beim
deutschen Fernsehpreis bereits lange
verstorben war.
Der Punkt ist, es ist immer deutlich
komplizierter, etwas zu erschaffen
als es im Nachgang zu kritisieren,
und so tue ich mich denn auch bei
dieser Rezension schwer, allzu hart
mit etwas ins Gericht zu gehen,
das ich wohl selbst nicht im Stande
wäre zu erschaffen.
Der Film basiert auf einem Bühnenstück
des schottischen Autors
Cecil Philip Taylor, der als Sohn
jüdischer Eltern in Glasgow aufwuchs.
Der relativ unbekannte Kameramann
Andrew Dunn verfilmte
den Stoff 2008 für das Toronto
Film Festival mit Viggo Mortensen
in der Hauptrolle des deutschen
Literaturprofessors mit dem klangvoll
deutschen Namen John Halder.
Das Plakat preist den Film als „extrem
kraftvoll“ und Viggo Mortensen
als „herausragend in seiner
bisher besten Rolle“. Mortensen
dürfte vielen bekannt sein aus dem
Dreiteiler „Herr der Ringe“, ist mir
persönlich aber eher in Erinnerung
geblieben als verdeckter Ermittler
im Film „Eastern Promises“, ein
wirklich beeindruckender Film, in
dem er mit seiner schauspielerischen
Leistung sehr überzeugte. Ich stimme
daher dem Plakat von „Good“
in beiden Punkten nicht zu. Obwohl
Mortensen seine Rolle durchaus
gut umsetzt, ist es mit Sicherheit
nicht seine beste Leistung.
Als Professor für Literatur hat John
Halder mit den Nazis eigentlich
nichts am Hut, er verabscheut das
Verbrennen von Büchern, und sein
bester Freund, Kollege und Kamerad
aus dem Ersten Weltkrieg
ist Jude. Auch wenn sein Schwiegervater
ihn kontinuierlich bedrängt,
doch um seiner Karriere Willen in
die Partei einzutreten, scheint Halder
als zerstreuter Professor mit
seinem beruflichen und privaten
Leben schon genug überfordert zu
sein. Seine Mutter, zunehmend
unter Demenz und Altersgebrechen
leidend, wohnt bei ihm und seiner
feingeistigen, musikalischen Frau.
Er beschäftigt sich mit Schreiben
und ist ansonsten gegenüber politischen
Dingen eher indifferent.
Ein Buch, das John Halder einige
Jahre vor der im Film ansetzenden
Handlung verfasste, bringt ihm
dann die unerwünschte Aufmerksamkeit
der SS ein. In dem Buch
tötet ein Sohn seine kranke Mutter
aus Liebe, um ihr Leid zu beenden.
Die Nazis sind beeindruckt von
dem Stoff und wollen ihn ins Boot
holen, um für die SS und Adolf
Eichmann Abhandlungen zu verfassen,
die der Rechtfertigung von
Euthanasie dienen sollen. Zunächst
widerwillig stimmt Halder zu und
übernimmt zunehmend Funktionen
für die SS, wird zum Hauptsturmführer
ehrenhalber ernannt, betrügt
seine Frau mit einer Studentin, verlässt
sie schließlich und bringt seine
Mutter in einem Pflegeheim unter.
An dieser Stelle beginnt Mortensens
Darstellung einzuleuchten. Wirkt
er am Anfang des Filmes zwar
blass, aber durchaus als treusorgender
Mann und Sohn sowie als
engagierter Professor, so nimmt
man ihm diese Rolle irgendwie
nicht so recht ab. Erst mit seiner
Affäre, seinem Versagen, dem jüdischen
Freund zu helfen, und
seiner widerstandslosen Metamorphose
zum SS-Mann mit Totenkopf-
Ring und schwarzer Uniform
wird klar: John Halder ist weder
treusorgend noch engagiert noch
besonders fest in seinen Standpunkten.
Er ist einfach nur ein charakterloses
Würstchen, ein Mitläufer
der übelsten Sorte und ein Feigling.
Als sein Freund Glückstein ihn
wütend auffordert, doch wenigstens
zuzugegeben, dass er nur mitmacht,
um sich persönlich Vorteile zu verschaffen,
kann er das noch nicht
einmal nachvollziehen. Er denkt
gar nicht an Vorteile, er will nur
keine Scherereien, fühlt sich von
der SS umschmeichelt und ist einfach
nicht in der Lage, Nein zu sagen.
Er schlägt seinem langjährigen
Weggefährten und Kriegskameraden
stattdessen vor, doch einfach
für einige Jahre das Land zu verlassen
bis sich der Sturm gelegt
hat. Als Glückstein ihn dabei um
Hilfe bittet, ist er zu feige, und als
er sich dann doch noch eines Besseren
besinnt, ist es bereits zu spät.
Sein Versuch, den Freund Jahre
später unter einem Vorwand im
Konzentrationslager wiederzufinden,
scheitert an der Effizienz der
Tötungsmaschinerie: er kommt viel
zu spät. Sein Stolpern durch das
Konzentrationslager und die Darstellung
der dortigen Gräuel wirken
unecht und karikiert. Man hat, aus
welchen Gründen auch immer, alle
möglichen Schilderungen von Grausamkeiten
halbherzig in wenige
Minuten zusammengequetscht:
Endloses Strammstehen, Erschießungen,
verhungerte Skelette, die
„Selektion“ der Neuankömmlinge,
dazu den Lagerkommandanten der
etwas von „Durchlaufraten“ und
sonstigen statistischen Daten erzählt.
Zu all dem spielt die Lagerkapelle.
Aber gerade deshalb wirkt die Szene,
auch wenn sie wie eine Karikatur
erscheint, sehr stark. Dies
alles im Schnelldurchlauf zeigt das
Lager zwar nicht in der Grausamkeit
der Nachkriegsaufnahmen, aber
doch irgendwie als das was es war:
Die Hölle, als Abwesenheit von
Vernunft, in einer Kakophonie des
Leids, Elends und Wahnsinns.
John Halder hat davon anscheinend
nichts gewusst, er hat auch nichts
getan, niemanden deportiert, ermordet,
verraten, erschossen, vergast.
Er hat einfach nur seinen kleinen
Teil getan, als Rädchen im
Getriebe, mitgemacht, weggeschaut.
Das alles wird ihm nun in all seiner
Grausamkeit klar. Hatte Edmund
Burke also Recht? Alles was es
braucht sind gute Menschen, die
nichts tun? Auf ihre Art haben, genau
wie John Halder, wohl viele
Menschen einfach „Nichts“ getan,
aber dennoch mitgemacht.
Ob der Film nun seinen eigenen
Ansprüchen gerecht wird, ist schwer
zu beurteilen. Alles wirkt sehr gestellt,
irgendwie gefiltert und weichgespült.
Man merkt, dass eindeutig
jemand dahintersteckt, der weder
die Materie noch Deutschland besonders
gut kennt. Auch mit der
historischen Korrektheit nimmt
man es nicht so genau, die Uniformen
wirken wie die der Verkäufer
von militärischem Klimbim am
Brandenburger Tor, wahllos zusammengestoppelt.
Bei einer Szene
im Biergarten fehlen eigentlich nur
noch die Bitburger-Schilder. Vieles
bleibt unausgesprochen, blass und
irgendwie verwaschen. Ich hatte
mir zu diesem durchaus interessanten
Thema mehr erhofft.