„I’m ready my Lord!“ Leonard Cohens allerletzter Gruß
Von Thomas Steierhoffer

Nachdem ich mich öffentlich
sehr gefreut hatte über
den Literaturnobelpreis
für Bob Dylan, schrieb mir eine
Freundin: „Jetzt sollte ihn auch
Leonard Cohen bekommen!“ Daraufhin
antwortete ich, dass ich
das anders sehen würde: Als Musikkritiker
bin ich davon überzeugt,
dass man die beiden keinesfalls
miteinander vergleichen kann, da
sie doch in unterschiedlichen Ligen
spielen. Mir ist schon klar, die
Stimme Cohens betört die Frauen,
aber bei NICO konnte er dennoch
nicht landen seinerzeit im „Chelsea
Hotel“ von Manhattan. Und es
wäre auch so, als würde man nun
doch Äpfel mit Birnen vergleichen
wollen. Persönlich besitze ich das
Gesamtwerk Dylans und viele,
viele Alben Cohens. Es ist richtig,
dass die Stimmen beider Musiker
nahezu diametral entgegengesetzt
erklingen. Man könnte durchaus
auch die These in den Raum stellen,
Dylan ist kein Sänger.
„Hineni, Hineni,
I'm ready my Lord“
Dennoch, was Robert A. Zimmerman
für die Musik getan hat,
sprengt jegliche Grenzen! Sein
Einfluss ist einer der größten überhaupt.
Dagegen erscheint Leonard
Cohen - mit Verlaub - wie ein
Zwerg. Und dann die Lyrics! Wer
die englische Sprache beherrscht,
wird seit Jahrzehnten erkannt haben,
welche literarische Qualität
in Dylans Texten steckt. Cohen
hingegen betrauert die Enden seiner
Beziehungen, denkt natürlich
an Jerusalem und bringt die Demokratie
nach U.S.A. Verdienstvoll
allemal, jedoch nicht ansatzweise
wird er damit ein Anwärter
auf den höchsten Literaturpreis,
den die Menschheit kennt. Dylan
hingegen wurde seit vielen Jahren
gehandelt als würdiger Preisträger.
Ich bin sehr glücklich, dass er
ihn nun in den Händen hält.
Menschlich betrachtet ist Cohen
deutlich sympathischer, der größere
Künstler, Musiker und Literat
jedoch bleibt Bob Dylan.
Soweit zu Dylans Nobelpreis.
Jetzt zu meiner veränderten Sicht:
„Hineni, Hineni, I'm ready my
Lord“ - ich bin tief ergriffen vom
allerletzten Album des ewigen Juden
Leonard Cohen. Halleluja!
Endlich ist es da: „You want it
darker“. Auf seinem allerletzten
Album diesseits des Himmlischen
Jerusalems führt Leonard Cohen
ein dunkles Zwiegespräch mit Gtt
und sich selbst. Und er kehrt
zurück zu seinen Wurzeln. Die
Textzeile im Opener, „Hineni, Hineni,
I'm ready my Lord“ stellt
eine Vorahnung dar, die dem Meister
einkam: Es kommt im Leben
wie im Sterben gleichermaßen
darauf an, bereit zu sein. In seinem
letzten Interview vor handverlesenen
Journalisten, darunter sein
deutscher Biograph, hatte Cohen
betont, er wäre immer Jude gewesen
und würde immer Jude
„I’m ready my Lord!“
Leonard Cohens allerletzter Gruß
Von Thomas Steierhoffer
sein. Am Ende war der ewige
Jude Leonard Cohen ein nachdenklicher
Buddist, der Zeit seines
Lebens die Frauen liebte und verstand
sowie ein Beter, dem Jerusalem
und New York gleichermaßen
innere und äußere Heimat
wurden. „You want it darker“ ist
musikalisch wie textlich ein ewiger
Cohen. Diesmal jedoch produziert
von seinem Sohn Adam, dem
Leonard tiefen Respekt und Dank
zollt in den Liner Notes. "Eigentlich
habe ich in meinem Leben
nur einen einzigen Song gemacht",
lächelt der alte Mann mit den komischen
Hüten. Allerdings geht
er kurz vor seinem Tod doch noch
einen nachdenklich stimmenden
Schritt weiter. Diesmal sind es
nicht die bekannten Background-
Damen, die ihre „Luli-Luus“ und
„Luschi-Baas“ hauchen, diesmal
musiziert der Meister mit dem
Synagogalchor von Montreal. Sein
allerletztes Album ist ein tief ans
Herz und in die Seele gehendes
Meisterwerk. R.i.p. Leonard Cohen!