Im „Club 27“ angekommen - Ausgelaugt und ausgebeutet: Amy Winehouse
Von Gabriele Heuze

Am 23. Juli 2011 waren die
Tore des legendären „Club
27“ weit geöffnet, die Aufnahme
eines neuen Mitglieds wurde
gefeiert. Amy Winehouse zog
ein.
In London betrat Amy Jade am
17. September 1983 diese Welt.
Ihr Vater war Taxifahrer, ihre Mutter
Apothekerin. Und es gab Alex,
den älteren Bruder. Als Amy neun
Jahre alt war, trennten sich ihre
Eltern. Sie war aufsässig, im Alter
von 15 Jahren wechselte sie zum
fünften Mal die Schule, die sie
dann mit einem Abschluss schaffte.
In der besten Schule für britische
begabte Nachwuchskünstler, der
Sylvia Young Theatre School,
konnte sie wegen ihrer rebellischen
Art zu leben nicht lange bleiben,
sie wurde gefeuert. Danach begann
sie in der renomierten Londoner
BRIT School ein Musiktheater-
Studium, das sie nach einem Jahr
abbrach.
Bereits im Alter von 9 Jahren
sammelte sie erste Bühnenerfahrungen.
Ihre Großmutter hatte einen
großen Anteil an ihrer Karriere,
diese ermutigte sie, auf die
Bühne zu gehen. Während ihrer
Jugendzeit spielte sie in mehreren
Orchestern. Als 19jährige unterschrieb
sie im Januar 2003 ihren
ersten Schallplattenvertrag bei Island
Records und begann mit der
Arbeit ihres Debütalbums „Frank“.
Bis auf zwei Stücke auf diesem
Album schrieb sie alle Songtexte
selbst. Wie sie selbst sagte, gaben
diese Texte ihre eigenen Lebenserfahrungen
wider. Mit der Auskoppelung
der Single „Stronger
than me“ im Oktober 2003 begann
ihr intensiver, zu kurzer Aufstieg.
Das Album erschien zwei Wochen
später, erreichte Platz 3 der britischen
Albumcharts. Bis Ende 2004
wurden 900.000 Exemplare verkauft,
Amy bekam dreifach Platin.
Im Februar 2004 wurde sie für
den BRIT Award nominiert, bekam
diesen Preis jedoch nicht. Im Mai
bekam sie den Ivor Avello Award
für die Single „Stronger than me“,
im September gewann sie mit
„Frank“ in der Kategorie Album
of the year den Mercury Music
Prize.
Nach vier Singleauskoppelungen
aus „Frank“ und einer weiteren
Nominierung für den Brit Award,
den sie wie im Vorjahr nicht gewann,
verkündete Amy Anfang
2005, dass sie eine künstlerische
Pause einlegen wolle. Sie wisse
nicht mehr, was sie schreiben solle.
Bevor sie mit ihrer Arbeit an
ihrem zweiten Album „Back to
Black“ begann, lernte sie ihren
späteren Ehemann Blake Fielder-
Civil in einer Bar kennen. Sie
verliebte sich Hals über Kopf in
ihn. Dieser Mann tat ihr nicht
gut. Hatte Amy zuvor Alkoholerfahrungen
gesammelt, mehr, als
ihr guttaten, und Marihuana geraucht,
betrat sie mit ihrem Mann
die Heroin- und Kokainwelt.
Amy arbeitete mit Mark Ronson
von März bis August 2006 an ihrem
zweiten Album „Back to
Black“. Dieses Album war angelehnt
an die Soulmusik der 1960er
Jahre. Mit dieser musikalischen
Veränderung änderte Amy auch
ihr Äußeres. Die „Bienenkorb-
Frisur“, ein Relikt der 1960er
Jahre und ihre Kleidung im Stil
der 1960er Jahre wurden ihr Markenzeichen.
Sie war angekommen,
wo sie sich wohl fühlte. Selbst
Karl Lagerfeld fand lobende Worte
für sie.
Mit der Singleauskoppelung „Rehab“
aus dem Album „Back to
Black“ wurde die Welt außerhalb
Großbritanniens auf sie aufmerksam.
Bis Ende 2006 verkaufte
sich das Album 1,5 Millionen
Mal, erreichte in 20 Ländern Platz
1 der Charts. Amy Winehouse
war nicht mehr aufzuhalten, sie
war 23 Jahre alt.
Sie wurde mit Preisen überhäuft.
2007 gewann sie den Brit Award
und den MTV Europe Music
Award. Im November sollte ihre
England-Tournee starten. Sie endete
in einem Fiasko und einem
abgebrochenen Konzert. Amy kam
volltrunken auf die Bühne, das
Publikum buhte sie aus. Sämtliche
Termine wurden abgesagt. Trotz
allem verkaufte sich das Album
„Back to Black“ bis zum Jahresende
2007 insgesamt 5,5 Millionen
Mal, landete in der Jahreswertung
auf Platz 1. Amy Winehouse verdiente
12 Millionen Pfund in diesem
Jahr.
In ihrem Privatleben stürzte sie
immer tiefer in die Abhängigkeit
von harten Drogen. Die Welt
schaute zu. Fast täglich erschienen
Fotos von ihr, auf denen sie volltrunken
durch London torkelte.
Als ihr Ehemann ins Gefängnis
kam, war sie clean.
2008 wurde sie für ihre Arbeit
mit fünf Grammys ausgezeichnet.
Zur Preisverleihung durfte sie wegen
ihrer Drogenprobleme nicht
in die USA einreisen, sie wurde
für ihre Dankesrede aus den Riverside-
Studios in London per
Satellit zugeschaltet. Die Arbeit
zum Titelsong für den James-
Bond-Film „Ein Quantum Trost“,
den sie zusammen mit Mark Ronson
produzieren wollte, musste
aufgegeben werden. Amy Winehouse
konnte nicht arbeiten.
Ihr desolater Gesundheitszustand
führte zu einer starken Einschränkung
ihrer öffentlichen Termine
im Jahr 2008. Im Mai trat sie in
Lissabon auf, man merkte ihr die
Probleme an. Sie kam zu spät auf
die Bühne und ihre Stimme klang
sehr heiser. Als Ursache dafür
wurden Halsschmerzen angegeben.
Die nachfolgenden Termine
liefen reibungslos ab.
Im August erschien eine limitierte
EP von ihr, auf der vier Coversongs
in Ska-Versionen neu arrangiert
waren. Ihr drittes Album
sollte in diesem Stil erscheinen.
Dieses Album erschien nie, Amy
Winehouse kündigte eine Karrierepause
für unbestimmte Zeit an.
Im Jahr 2009 ließ sie sich auf
Drängen ihrer Eltern von Blake
Fielder-Civil scheiden. In den Jahren
2009 und 2010 gab es kaum
öffentliche Auftritte von ihr. Bis
in den August 2009 war sie auf
der Insel St. Lucia zu einer Entziehungskur.
Die wenigen Fotos
von ihr ließen die Welt etwas hoffen.
Mich zumindest, ich wünschte
dieser jungen Frau mit dieser unglaublichen
Stimme so sehr, dass
sie es schafft.
Tornee in Belgrad
abgebrochen
Im April 2010 bekam sie bei dem
britischen Modelabel eine eigene
Modelinie. Bei einem Privatkonzert
für einen russischen Milliardär
lieferte sie eine 60minütige Show
ab, sie schien clean und stabil.
Ihr Management gab 2011 bekannt,
dass Amy Winehouse an
einem schrittweisen Comeback
arbeitet. Sie war jetzt 27 Jahre
alt. Im Frühjahr war eine Tournee
durch Brasilien geplant, eine Tournee
durch Europa sollte im Sommer
folgen. Und endlich im Herbst
ein neues Album. Für die Brasilien-
Tournee bekam sie lobende
Worte für die fünf absolvierten
Konzerte. Die Europatournee wurde
in Belgrad abgebrochen, Amy
Winehouse war so betrunken, dass
sie statt zu singen nur noch lallte.
Es war ein Albtraum. Sämtliche
Termine wurden abgesagt, das
Erscheinen des Albums auf unbestimmte
Zeit verschoben.
Es sollte nie wieder Konzerte von
Amy Winehouse geben, nie wieder
ein neues Album. Sie war zwar
weg von den Drogen, nicht aber
vom Alkohol. Sie starb an einer
Alkoholvergiftung.
Die zarte junge Frau mit dieser
Stimme, die bei mir mit den ersten
Tönen Gänsehaut erzeugte, war
für mich die Reinkarnation von
Billie Holiday.