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„Inside Llewyn Davis“ - ein Kinofilm der Coen-Brüder

Von Matthias Horwath


Ist das ein neuer Musikfilm?“,

fragte mein Dresdner Freund

Lutz. „Nö, isses nich, auch

wenn es sich dabei vordergründig

um Musik dreht“, erwiderte ich

ihm. „Aber wenn da keene gudde

Musik dabei is, brausch dor gor ni

erscht hinzugehn!“, verkündete

Lutz kritisch.

Die Kamera des Films wird jedoch

wirklich unaufgeregt auf ein winterlich

graues New York der frühen

Sechziger gehalten, genauer auf

Greenwich Village, einem berühmten

New Yorker Stadtteil in Manhattan,

in dem der zeitgenössische

Jazz gespielt wird und in dem vor

allem die aufkommende Folkszene

gerade erblühte. Dieses bunte Grau

der Stadt erscheint mir als Betrachter

in einer so tief verwurzelten

Weise, dass mich der Film sofort

in mein eigenes Leben mitnimmt.

Die alten, leicht angeranzten Ami-

Schlitten der Sechziger assoziieren

mir im Film „meine“ frühen Straßenbilder,

die EMW, Opel Kapitän,

F9, Moskwitch, Wolga, Tatra-Straßenbahnen

und Busse meiner Kindheit.

„Willkommen im Klub“ will

es von der Leinwand rufen, „willkommen!“

Der beinah alterslose

Filmheld Llewyn Davis schnorrt

sich mit seinem plumpen Gitarrenkoffer

als wohnungsloser Musiker

durch die Szenen. Hier ein

Sofa, dort mal eine Matratze, auf

der er sich durchs Leben vögelt.

Es gibt eine harsche Schwester

und einen greisen Vater im tristen

Altenheim. Es erscheinen vermeintliche

Freunde und eine giftige Geliebte,

eine Schar von karrieregeilen

Musikanten der Folkszene und last

but not least die berühmte Location:

das „Gaslight“, in dem Bob Dylan

einmal seinen Ruhm begründen

sollte. Hier schrammeln sich zuvor

mehr oder weniger alle Folkies

durch, hier spielt der Inhaber den

kleinen Gott, der Lebenschancen

gibt oder verwehrt. Sein künstlerisches

Interesse erscheint entwicklungsfähig,

wenn er sich auch mit

einem untrügbaren Instinkt für „das

Ding“ in sich selbst gesegnet sieht.

Der geile Arsch von Llewyns verbitterter

Geliebter ist dem Wirt

nicht nur auf der Bühne näher als

der Respekt vor Llewyn selbst.

Es scheint sich generell nur jeder

selbst am nächsten zu sein, jedoch

weniger im Rausch des Erfolgs,

sondern eher im hässlichen Geruch

des Versagens. Die Figuren des

Films erscheinen in einer eigenartigen

Verbindung zwischen Nähe

und Distanz eingefroren. Sie treten

miteinander auf, aber sie haben

nichts miteinander zu tun. Llewyn

trägt den Stolz eines Musikers, der

schon mal eine Ahnung von Erfolg

hatte, nach dem Suizid seines musikalischen

Partners, aber medial

ins Nichts geriet. Sein Produzent

verarscht ihn wie letztlich alle anderen

offenbar auch. Er gibt hoffnungslose

Empfehlungen zum Vorspiel

bei weiteren Produzenten, denen

er angeblich Llewyns LP zukommen

lassen habe.

„Inside Llewyn Davis“ führt den

Zuschauer von Beginn an unbemerkt

auf die Drehbühne einer

Rückblende-Erzählung, die mit

dem Ende zu ihrem Anfang führt.

Die Bridge, sozusagen die Zwischenmelodie

des Films, ist ein

Aufbruch des Helden von New

York nach Chicago zu einem lokal

berühmten Produzenten. Hier beginnt

ein unnachahmliches Roadmovie,

ein Kammerspiel im Fahrzeug

zwischen einem snobistischen

Jazzer, der gerne der Dr. John von

heute sein könnte und seinem wortlosen

Lakaien am Steuer, so wie

Llewyn selbst und einer seiner immer

anwesenden Katzen, die er

sich jedoch nie selbst aussuchte.

Die Katzen stehen denn auch als

Symbol für unausgesprochenen Eigensinn,

für Hilfsbedürftigkeit, Verletzlichkeit

und das Treuebedürfnis

des Inside Llewyn. Die immer vorhandene

Gegenwart der Katzen im

schäbigen Rostrot symbolisieren

vor allem aber die schreiende

Sprach-und Beziehungslosigkeit

der Akteure, vor die sich ein übel

riechender Zynismus als hoffnungslos

eingerosteter Pfropfen setzte.

Der Misserfolg im gefrorenen Chicago

führt Llewyn wieder zurück

über den nächtlichen Highway nach

NY, zurück in die Fortschreibung

des Scheiterns, egal, was er offenbar

noch vor hat.

Der Film berührt mich, weil er

sich von buntschillernden Amerikaklischees

konsequent fern hält.

Er erzählt nüchtern wie klaglos einen

kleinen Ausschnitt eines sehr

persönlichen Kämpfens und Versagens.

Es entwickelt sich daraus

eine Story, die sich nicht so sehr

an Mangel von Talenten entzündet,

sondern eher am simplen wie bösen

Ausbleiben von Glück und Geschick,

zur richtigen Zeit an der

richtigen Stelle gewesen zu sein.

Auch wer zu früh kommt, den bestraft

das Leben...

Am Ende des Films trägt mich der

warme Sound Bob Dylans hinaus.

Einer unter den wenigen Gesegneten,

die es wirklich vom „Gaslight“

heraus mit Ruhm in die

ganze Welt schafften. So glauben

wir das wenigstens. Ich bleibe

allein zurück und dabei nachdenklich

mit der bizarren Fragestellung

versehen, wozu schlussendlich doch

noch das ewige Scheitern taugen

könnte. Was wohl mein Freund

Lutz dazu sagt?

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