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Keith is God oder Vinyl lebt!

Von Thomas Steierhoffer


Gegen 01:30 Uhr erhalte ich

die E-Mail, in der mir der

Plattenhandel mitteilt, das

bestellte Doppelalbum sei an mich

verschickt worden. Voller Begeisterung

und Vorfreude bleibe ich

noch eine Weile am Rechner und

lese die Zug um Zug eingehenden

Informationen: „Greven: Die Sendung

wurde im Start-Paketzentrum

bearbeitet.“ Etwas später: „Die

Sendung ist ins Ziel-Paketzentrum

unterwegs.“ Dann werde ich müde,

gehe ins Bett und freue mich auf

den nächsten Tag. Im Internet heißt

es gleich morgens: „Börnicke: Die

Sendung wurde im Ziel-Paketzentrum

bearbeitet.“ Etwas später lese

ich dann schon: „Die Sendung wurde

ins Zustellfahrzeug geladen.“

Nun weiß ich genau, es dauert

noch etwa zwei Stunden, dann ist

das Album da! Nach zweieinhalb

Stunden klingelt mein freundlicher

Postbote und übergibt mir das heiß

erwartete Paket. Ich frage ihn:

„Wissen Sie, was Sie mir gebracht

haben? Er: „Eine Schallplatte?“

Zunächst stutze ich. Dann wird

mir klar, dass er auch schon älteren

Baujahres ist, und ich lächle: „Keith

Richards! Doppelvinyl! Rot!“ Unsere

Blicke treffen sich, werden

tief, und plötzlich weiß ich, dass

er weiß...


Die weißen Handschuhe

und das Schweizermesser

liegen schon bereit

Vorsorglich habe ich mir – vorbereitet

wie immer – meine weißen

Samthandschuhe bereitgelegt, das

rote Taschenmesser aus der Schweiz

schon ausgeklappt. Endlich ist es

so weit. Ich öffne das Packet mit

einem Ruck am Zugfaden aus rotem

Plastick. Der Deckel geht ganz

leicht auf. Und jetzt halte ich die

beiden Schallplatten endlich in der

Hand: „Keith Richards – Vintage

VVinos“. Gänsehaut überläuft meinen

Rücken. Allein schon das Cover!

Weißer Hintergrund mit einem

schwarzen Aufkleber. Darauf ist

zu lesen: „The first solo collection

from Keith Richards – 2 LPs on

red 180g Vinyl ...“ Und dann der

Mann, der mir der Gott des

Rock’n’Roll schlechthin zu sein

scheint: Keith leibhaftig. Nicht nur

auf dem Cover, schwarz-weiß zeigt

er uns seinen markanten Rücken,

seine leicht angegraute Mähne wird

vom berühmten Stirnband in Form

gehalten, der Ohrring hängt tief,

in seiner rechten Hand schwenkt

der Gitarrist der wohl größten Rockband

aller Zeiten ein volles Bierglas

mit fein säuberlich gezapfter „Tulpe“.

Seine Jeans sind diesmal über

die Stiefel gezogen, in denen er

sein Messer stets am Mann führt.

Der schwarze Lodenmantel berührt

fast den Boden, nein, er berührt

ihn! Wie ein König im Ornat scheint

sich Keith aus dem Bild zu schleichen.

Doch damit nicht genug, wie

bereits angedeutet. Die Seite 4 des

Doppelalbums zeigt die beschriebene

Szene noch einmal, hier jedoch

tief in Vinyl gepresst. Also, Vorsicht!

Hier bitte keine Abtastnadel ansetzen...

Viele Kritiker äußern sich eher herablassend

über die 2010 erschienene

CD Ausgabe von „Vintage

VVinos“. Sie halten das Material

für überflüssig und für lieblos präsentiert.

Mir geht es diametral entgegengesetzt,

als mein Schweizermesser

durch die dünne Plastikfolie

der Originalverschweißung flutscht.

Es ist eben doch etwas anderes,

eine Schallplatte in der Hand zu

haben. Nie kann die CD – allein

schon wegen ihres Formats – den

graphischen Eindruck eines echten

Albums widerspiegeln. Und dann

liegt das Doppelalbum mit den

(nur) drei Seiten Musik endlich

offen und ungeschützt vor mir. Mit

den weißen Handschuhen ausgerüstet,

ziehe ich die erste Platte

aus dem Cover. Mein Plattenspieler

der deutschen Kultmarke „Braun“

ist vorgeheizt, im Tape-Deck liegt

eine 90-Minuten-Chromdioxid-

Kassette der Marke BASF. Die

Jungfernfahrt kann starten. Sie geht

analog direkt aufs Band! Die Fenster

und die Tür meines Kinderzimmers

sind weit geöffnet, so

dass auch meine unmittelbaren

Nachbarn – wie immer – guten

Sound genießen können. Ob sie

wollen oder nicht! Und wie es losgeht!

„Take it so hard“ heißt der

Opener. Viele Freunde der Beatmusik

werden sich an das Stück

erinnern, mit dem Keith Richards

bereits 1992 sein einziges Deutschlandkonzert

mit den X-Pensive Winos

in Köln eröffnet hatte. Dieses

Konzert wurde vom „Rockpalast“

dokumentiert und ist eingegangen

als eines der schmutzigsten und

deshalb so sympathischen Konzerte

in die Geschichte des Rock’n’Roll.

Und so geht es dann weiter. Die

letzte Seite mit Musik hat es mir

dann wirklich angetan. Zuvor waren

Keith und seine Band Live zu

hören, jetzt geht es wieder hinein

in die Zauberküchen der verschiedenen

Studios auf der ganzen Welt.

Von „Wicked as it seems“ bis „Hurricane“,

jener ultra raren acoustic

Nummer, die bis dato nur mehr

gegen Spende für die Opfer der

Flut von New Orleans und des

Hurrikans Katrina erhältlich war,

wird klar, dass der Stones-Gitarrist

hier genau jenen Druck aufbaut,

den nicht nur ich auf den Solo-Alben

der Vergangenheit so schmerzhaft

vermisst hatte.


Hier wummern die Bässe,

hier säuselt, schmeichelt,

wütet und rockt Keith


Hier wummern die Bässe, hier singen

die Gitarren, hier säuselt,

schmeichelt, wütet und rockt Keith,

hier perlt die reine Gänsehaut über

den Rücken des Hörers! Leute, die

Seite 3 auf „Vintage VVinos“ lässt

mich nicht mehr los! Hier liegt

das Geheimnis Keith Richards wie

ein offenes (Hör)Buch vor uns!

Als echtes Highlight veröffentlicht

„Mindless Records“ diese auf CD

bereits erfolgreiche Zusammenstellung

von Keith Richards Solo

Aufnahmen & Aufnahmen mit seiner

Band The X-Pensive Winos

aus den auf Vinyl nicht mehr erhältlichen

Alben „Talk is Cheap“,

„Live At the Palladium“ und „Main

Offender“. Außerdem bietet das

Album lithographische Drucke der

Cover von Richards drei Soloplatten.

Ein absolutes „Must Have“

für Keith Richards & Stones Fans.

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