Mit „Hurengebräu“ gegen Rassismus - Miles Davis
Von Matthias Horwath

„Bitches Brew“ von
Miles Davis, wurde im August
1969 aufgenommen und im
Frühjahr 1970 veröffentlicht
Das Album „Bitches Brew“
(Hurengebräu) von Miles
Davis wird ab 1970 vom
Weltkonzern CBS und später vom
Nachfolger Sony als epochaler
Tonträger in die Welt geworfen. Im
Jahr 1969 mit einer bunten Palette
von Musikern aus der ganzen Welt
in New York aufgenommen,
entfalten diese zwei ursprünglichen
Schallplatten ihre zauberhafte
Wirkung bis in unsere Epoche
hinein. Der afroamerikanische
Trompeter Miles Davis kann um
diese Zeit schon auf zwei sehr
erfolgreiche Dekaden seiner
Weltkarriere zurücksehen. Miles,
ein extrem gut aussehender Typ,
weiß sich mit seinen beinahe
ausschließlich farbigen Kollegen
bis dato musikalisch wie stilistisch
in Szene zu setzen und zu vermarkten.
Seine Musik galt schon immer
als „hip“, als extrem modern und
unerreichbar. Sie ist mal ein ewig
eiskalter Stern am Firmament, um
sich später mit einer warmen und
pulsierenden Seite dem Zuhörer
über ein Gänsehautgefühl zu nähern.
Miles gibt schon immer
seinen zum Teil sehr jungen Musikern
viel Raum zur Entfaltung.
Ihre Musik erklingt vom Holz der
Bühnenbretter in einer akustischen
Art übertragen, die vorerst nach
sehr wenig elektrischer Verstärkung
verlangt. Klassicher Flügel,
Kontrabass, Perkussions- und
Schlaginstrumente, Saxophon und
eben Miles’ Trompete bilden das
Gerüst. Die Namen der Bandmitglieder
aus der sechziger Dekade
klingen Jazzfreunden noch immer,
wie sehr vielen jungen Freunden
schwarzer Musik heutzutage auch,
im Ohr: Herbie Hancock, Ron
Carter, Anthony Williams, John
Coltrane und später Wayne Shorter.
Miles setzt sich in den USA und
weltweit als schwarzer Künstler
durch. Er steht damit in der Reihe,
die von Louis Armstrong seit den
zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts
angeführt wird. Erfolg,
sehr viel Geld, tolle Klamotten und
schöne Frauen. Diese Annehmlichkeiten
lassen jedoch nicht die krassen
oder latenten Demütigungen
durch die zu jeder Epoche anwesendenden,
allgegenwärtigen Rassisten
vergessen machen. Aber Miles
und seine Jazzkollegen lassen
mit ihrer Lebens-Kunst den Rassismus
kalt am Hinterteil vorbeiziehen.
John F. Kennedy und Martin
Luther-King verändern nun als
unfreiwilliges weiß-schwarzes
Paar Amerika. Der Mord an ihnen
steht als Menetekel für anstehenden
Wandel. Der schwarze Soul- und
Funk-Musiker James Brown singt
„We are black and proud!“ (Wir
sind schwarz und stolz!) Schwarze
Musiker und Künstler setzen sich
zum Ende der sechziger Jahre bei
einem weißen Massenpublikum
durch. Neben James Brown sind
das unter anderem B.B. King,
Muddy Waters, Ray Charles, Little
Richard, Sly Stone, Jimi Hendrix
und vor allem der Schauspieler
Sidney Poitier. Miles’ neues Album
„Bitches Brew“ setzt die schwüle
Atmosphäre seines Films „In der
Hitze der Nacht“ ganz neu in
Szene. Die Musik brodelt nunmehr
elektrisch in einem Kessel, während
Miles Davis seine kühlen
Trompetenstöße darüber schlägt.
Der Sound scheppert hart und metallen.
Mehrere elektrische
Glockenspiele, sogenannte Fender
Rhodes, Sopransaxophone, eine
dunkle Bassklarinette wie bei
Gustav Mahler verbinden sich mit
langen, monotonen Akkorden einer
Elektrogitarre unter Miles’ einsamem
Klagen. Elektrobass und
Kontrabass verbinden sich mit
brodelnden Rhythmen von mehreren
Perkussionisten und Schlagzeugern.
Namen wie Herbie Hankock,
Chick Corea, Joe Zawinul,
Wayne Shorter, Bennie Mauphin,
John Mc Laughlin, Dave Holland,
Jack de Johnette und einige mehr
stehen neben Miles und dem
Produzenten Teo Macero für dieses
Konzept. Diese Band ist jetzt eine
Band aus schwarzen und weißen
Künstlern, die schlussendlich an
das Vermächtnis der Ermordeten
wie Kennedy und Luther-King
erinnern: Miteinander Geschäfte
machen, ist nicht gleich nur Kommerz,
sondern unter Umständen
das Beste, was je passieren kann:
Es wird sich einander begegnet.
Künstler wie Konsumenten überwinden
Schranken von Vorurteilen
und Schubladen.
Dass diese Botschaft direkt aus
New York kommt, erscheint dabei
nebenher nicht mehr als Zufall.
Schon die Begründer des Jazzlabels
„Blue Note“ mussten als Juden in
den Dreißigern vor den Nazis
fliehen, genauso wie der Maler und
Schallplattengrafiker von „Bitches
Brew“, Mati Klarwein. Auf Klarweins
Cover verschmelzen
Schwarze und Weiße erotisch
prickelnd vor dem weiten Meer.
Afrikanische Jungmänner posieren
dazu mit übertrieben geweiteten
Augen auf dem Heiratsmarkt eines
Wüstenstammes. Die Innenseite
des Covers empfängt mit einem
knackigen Miles, der offenbar mit
seinem nassen Kaffee-Body gerade
aus dem sonnigen Meer gestiegen
ist.
Das Erfolgsgeheimnis dieser Platte
liegt sicher darin, dass alle Beteiligten
die Zeichen der Zeit
erkennen und deuten. Die religiöse
und psychedelische Aura des Auftrittes
dieses Albums und seiner
Musik lassen ein zeitloses Wesen
von Musik und Gefühl aufkommen.
Genau darin tritt nun dem
Zuhörer das Geheimnis von
„Bitches Brew“ entgegen: Die
Musik des Hurengebräus lässt sich
nirgends mehr richtig einordnen.
Sie ist kein Jazz vorheriger Prägung,
kein Soul oder Funk, keine
Rockmusik, keine klassische zeitgenössische
Musik. Sie erscheint
als nur das Eine. Sie ist Miles
Davis. Musikalisches Weltkulturerbe!