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Musikalischer Rausch

Von Matthias Horwath



In heimischen CD-Regalen meiner

Behausung lagert seit Jahren

das Album „Love Devotion

Surrender“ und es wäre schwer

verstaubt, wenn sich nicht ab und

an ein gnädiger Lappen erbarmte.

Es trotzt stolz dem Besitzer und

will offensichtlich nicht pausenlos

im Player verramscht werden. Vorsicht

nun, was ist denn DAS für

ein Zeug? Rockmusik, Jazz, Erhabenheit

oder religiöser Kitsch? Die

zur freiheitlichen Lehre des Gurus

Sri Chinmoy neigenden Gitarrengötter

der frühen Siebziger, John

„Mahavishnu“ McLaughlin, und

Carlos „Devadip“Santana, der

Schlagzeuger Billy Cobham, und

der zum Islam konvertierte Organist

Larry Young ala Khalid Yasin sind

zugkräftige Akteure dieses Albums.

Sie wurden von cleveren CBSProduzenten

ins Studio zusammengerufen,

um der zu Ende gehenden

Epoche schwarzen Free-Jazzes noch

einmal in der Manier kommerziell

den weißen Rahm abzuschöpfen.

Das Album ist ohne Bezug zur

Black-Music Epoche der vorausgegangenen

Sechziger nicht wirklich

zu verstehen. Diese Epoche

wurde von schwarzen Intelektuellen

wie Ornette Coleman, Miles Davis

und besonders von John und Alice

Coltrane vorrangig in New York

geprägt. Ihre Musik beseelte sich

voller Inbrunst und Rhythmik, war

auch ein politisch-aggressiver Aufschrei

der Befreiung aus der Sklaverei,

des Rassismus und der religiösen

wie politischen Bevormundung.

Einflüsse fernöstlicher Religiosität

und Melodik gingen Symbiosen

mit islamischer Musik und

Symbolik ein. Sie knüpft einen

endlos erscheinenden, manchmal

schweren Klangteppich aus strahlend

hellen wie dunkel glühenden

Ornamenten, die bezaubernd, berauschend,

aber auch ausgrenzend,

schwarz-rassistisch und aggressiv

den Zuhörern ihr Angebot machten.

Diese Musik wurde von bestgekleideten

Black Musicans für sich

selbst und vor allem für weiße

Adressaten eingespielt, frei nach

dem Motto: „Seht her, ihr weißen

Arschlöcher, wir sind so hip, stylisch,

gebildet und souverän, dass

ihr uns nun endlich einmal aus den

Händen fresst.“ Und der gebildete

weiße Mann fraß und frißt bis heute

begierig.

Ihr Sound, bis dato streng akustisch

zelebriert, fand später seine rockmusikalische

Transformation vor

allem im elektrisierenden Klang

der Jimi Hendrix`Experience. Das

große Geschäft mit dieser neuen

„Erfahrung“ wurde durch Miles

elektrische Rock-Jazz Alben künstlerisch

zeitweilig noch übertroffen,

auf denen verteilt fast alle der Beteiligten

von „Love Devotion Surrender“

schon im Boot sind. Mit

dem Ende der Sechziger-Dekade

gingen viele Helden des schwarzen

Jazz wie der Rockmusik von der

großen Bühne. Miles Bands zersplitterten

sich in neue Supergroups

wie dem Mahavishnu Orchestra,

der Tony Williams „Lifetime“ oder

Joe Zawinuls „Weather Report“.

Lediglich Carlos Santana, der vor

allem über Woodstock seinen

Ruhm begründete, kam nicht aus

dem Miles-Stall.

Alle vereint jedoch die geschäftliche

Verbindung zur CBS. Seit den späten

sechziger Jahren kann man die

künstlerische Verwertung beinahe

aller Ex-Miles-Musiker mit dem

Geist des schwarzen Free-Jazz beobachten.

Auch wurde der indische

Guru Sri Chinmoy in Bild und

Schrift den Platten des ersten Mahavishnu

Orchestras, aber auch einigen

Alben von Carlos Santana

beigelegt. Santana, dem man bisher

weniger asketische Tugenden nachsagen

konnte, ließ sich nun mit

McLaughlin kreuzbrav und geschoren

wie fernöstliche Priester

in weißen Gewändern ablichten:

eng beinander vor der Kamera, in

Demut leicht vornübergebeugt und

weise lächelnd mit dem unvermeintlichen

Sri-Chinmoy-Button

am Revers: fertig war das Cover

des Albums.

Was sich dem Hörer nach vier

Jahrzehnten bietet, kling nicht ansatzweise

nach kommerzieller Massenware!

Der Staublappen fällt mir

wieder aus der Hand, denn dieses

instrumentale Album ergießt sich

mit seiner fließenden, pulsierenden,

manchmal auch wiegenden Rhythmik

des „Love Supreme“ als sinnlicher

Rausch, als Kraftakt, der die

Grenzen kommerzieller Rockmusik

weit, weit von sich weißt. Zu Beginn

entwirft McLaughlin die Linien

mit seiner „Elektrischen“ in

großen Bögen, um Carlos Santana

zu locken, wie in der Liebe, die

sich aufwölbt, sich ergießt und

wieder aufwölbt. In der Mitte der

wenigen Tracks des Albums befindert

sich Coltranes Klassiker

„Naima“ als akustisches Gitarrenstück.

Von der ausgehenden Stille

bereitet sich ein weiterer Rausch

vor, diesmal angehaucht von Santanas

leichter Feder. Ein Feuerwerk

des Sounds.


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