Nur wer sich ändert, bleibt sich treu - Warum viele Deutsche Wolf Biermann nicht lieben
Von Matthias Horwath

Der gebürtige Hamburger
Wolf Biermann wird aus
einem kommunistischen
Elternhaus heraus in die Welt geworfen.
Sein jüdischer Vater geht
1943 ins Zyklon-Gas der Nazis.
Mit der Zerstörung Hamburgs im
selben Jahr bliebe für ein sechsjähriges
Kind eigentlich nichts
mehr übrig als Zerstörung generell.
Wolf, der junge Mann, ist klein
von Wuchs und ein Vaterloser: ein
früher Kontext für seine narzistischen
Größenphantasien. Biermann
folgt jedoch dem Ruf seines familiären
Glaubens an den Kommunismus
und geht nach einer Jugend
in Hamburg in den vielversprechenden
Berliner Osten der 50er
Jahre. Hoffnung keimt auf nach
Aufbruch, Aufbau und Klartext gegen
den Geist des Nationalsozialismus.
Er will in die SED, engagiert
sich zunächst auf der Bühne, singt
erste Lieder gemeinsam u.a. mit
Manne Krug. Biermann begegnet
dem Geist Brechts auf den Bühnen
des zerstörten Berlins. Die graue
Realität gilt als einzig zulässige
Kulisse. Eisler, Weill, Dessau und
die Musik des spanischen Widerstands
gegen Franco geraten zu
künstlerischen Eltern, die als Gegenpol
die Ästhetik der frühen
DDR prägen. Die andere Seite des
Poles wird jedoch die eigentliche
Macht: Die Nomenklatura der Herrschenden
in der DDR besteht zu
erheblichen Teilen aus zwiespältigen
Verrätern an der ursprünglich kommunistischen
Überzeugung. Entsolidarisiert
in Stalins Moskau wurde
jeder ausgeliefert, der nicht in
das enge Korsett einer kranken
Führung um Stalin, Berija und Molotov
passt. „Kurzer Prozess“ wird
damals und späterhin auch der
Leitbegriff des unheilbaren Stalinisten
und späteren Stasichefs Erich
Mielke.
Viele deutsche Kommunisten in
Moskau wurden vor den Nazis
nicht beschützt, sondern abgeknallt,
immer von hinten. „Kollaborateure“
sind die, die übrig bleiben. Das
mörderische Regime in der Sowjetunion
wird scheinbar legitimiert
durch den verbrecherischen Krieg
Hitlers, den die imperiale Sowjetunion
allerdings achtundreißig gemeinsam
mit Deutschland plant
und der dann schon einundvierzig
auf sie selber zurückfällt ... Die
geheimen Zusatzprotokolle zwischen
der Sowjetunion und Hitler
sind so in der DDR nie ein Thema
der Aufklärung, sondern eins, welches
mit aller Gewalt unter dem
Deckel der Verschwiegenheit gehalten
wird. Der neue Staat wird
somit mit einer zentralen Lüge von
denen ins Leben gerufen, die mehrheitlich
auch für diese Lüge standen:
die Führer der KPdSU und die der
Sozialistischen Einheitspatei
Deutschlands.
Die Einreise ins
kommunistische Paradies
Biermann darf bei seiner Einreise
ins kommunistische Paradies getrost
die Naivität und Unwissenheit unterstellt
werden, die so vielen Menschen,
die sich früh in der FDJ
und später in der SED engagierten,
eigen war. Sie wollten vorerst ehrlich
aufräumen mit einem System,
das ein Verbrechen ungeahnten
Ausmaßes mit dem der angeschlagenen
Marktwirtschaft der dreißiger
Jahre ins eheliche Bett zwang. Das
Gewaltpotential, das im Marxismus/
Leninismus steckt, nämlich
Andersdenkende kaltzustellen, wurde
allerdings auch vom jungen
Biermann nicht abgelehnt.
Doch selbständiges, unabhängiges
Denken und der Mut, sich zu Veränderungen
in diesem Denken zu
bekennen, prägt Wolf Biermann
von Anfang an. Das Berufsverbot
ab Mitte der Sechziger führt den
„Wolf“ jedoch immer weiter in die
Auseinandersetzung mit dem System,
an das er allerdings bis zu
seiner Zwangsausbürgerung 1976
fest glaubt.
Biermanns Texte und Lieder lassen
sich durch ein Berufverbot nicht
in den Hintergrund jagen. Kommunisten
in der DDR wähnen sich
meist mutig. In Wahrheit sind sie
häufig feige, kleinkariert, angepasst
und längst in der kleinbürgerlichen
Welt versackt. Ihre persönliche
Karriere und ihr materielles Auskommen
liegen ihnen mehr am
Herzen als die Idee der Freiheit.
Wolf geißelt sie - vor allem mit
Spott. Sie wagen es jedoch nicht,
dem Promi Biermann ans physische
Leben zu gehen. Die Stasi stellt
das System generell auf Psychoterror
um. Biermann nimmt, unter
permanenter Bewachung in seiner
Berliner Wohnung in der Chauseestraße
131, seine legendären
Schallplatten auf. Ein früher Verleger
aus dem Westen Berlins,
Klaus Wagenbach, bringt die Bände
„Die Drahtharfe“ sowie „Mit Marxund
Engelszungen“ heraus, weiterhin
eine erste Single und die
erste eigene Langspielplatte Biermanns:
„Chausseestraße 131“.
Zuvor erscheint bei Phillips eine
Live-LP mit Biermann und Neuss.
Biermanns Alben sind oppulent,
experimentell und voller Musikalität.
Sein exzellentes Gitarrespiel
wird durch Harmonium und gelegentliche
Klavierpassagen ergänzt.
Über allem weht der literarische
Geist des freien Denkens.
Biermann zeigt sich nicht als Liedermacher
im übliche Sinne. Er
gestaltet Kunstlieder in der Schule
der Moderne. Grobes Schreien und
zärtliche Passagen wechseln mit
Klageliedern und Moritaten. Biermann
bringt nicht nur eigene Lieder,
er übersetzt auch literarische Texte
anderer in die Musikalität. Sein
Album „Hälfte des Lebens“ wird
eines seiner letzten aus der Chausseestraße
in Ost-Berlin werden.
Texte von Brecht, Fuchs, Hölderlin,
Kipphadt, Kunert, van Hoddis und
weiteren Autoren werden wie immer
eingebunden in graphisch hochwertigste
Cover, nun aktuell versehen
mit einem Gemälde des
Dresdners A. R. Penck.
Für die kritischen Intellektuellen
im Osten wird Biermann bis Mitte
der Siebziger zum Lebenselixier.
Schwerer noch als manche seiner
Texte trifft sein unbändiger Humor,
sein unverkennbar ansteckendes,
spöttisches Lachen in das Herz der
SED-Bürokraten. Sie hassen ihn
dafür. Mit der Ausbürgerung nach
dem Kölnkonzert beginnt jetzt das
rasante Auseinanderfallen der Intellektuellen
im Osten. Viele gehen
von selbst, viele werden weggetrieben,
viele gedemütigt. In medialen
Hetztkampagnen wird Biermann
zur Unperson erklärt. Die
trügerische Ruhe ist dahin. Nicht
nur für die Funktionäre der DDR.
Nahezu alle Bereiche des öffentlichen
Lebens sind getroffen. Bands,
Schauspieler, Schriftsteller, Maler
reibt es auf oder treibt es weg aus
der allzu bedrückenden geistigen
Enge der DDR. Der deutsche Michel
denkt nicht gerne, auch der
Intellektuelle nicht. Und so werden
auch die zu Gegnern Biermanns,
die mit der DDR gar nichts am
Hut haben, aber ihre Lebenserfüllung
mehr im Gewächshaus ihrer
Schrebergartenruhe sehen, die nun
empfindlich gestört ist.
Biermann wird sich im Westen
verändern: Ein Fremder in der Heimat.
Ein Suchender. Exzellente Alben
wie „Wir müssen vor Hoffnung
verrückt sein“ oder „Im Hamburger
Federbett“ künden noch vom großartigen
Potential des Mannes. Biermann
sucht nach neuem Sinn. Er
produziert schlechte Platten. Er
verzettelt sich mit der Linken. Diese
erscheint im Westen bedeutungslos
und banal. Die aufkommenden
Grünen, die Gegener der Nachrüstung
und andere Linke erweisen
sich für ihn zunehmend als das,
was sie sind: emotional und
menschlich stark anziehend, aber
sie bestehen meist die Prüfung des
gründlichen Analysierens nicht.
Biermann polemisiert. Seine Bedeutung
verliert sich in der Gegenwart
und lockt den narzistischen
Stachel, dem Biermann letzlich mit
zunehmendem Alter aufsitzt. Seine
geschichtliche und künstlerische
Bedeutung wird nicht erkannt und
er bläht sich dagegen auf, wofür
er zunehmend gehasst wird. Eine
große Mehrheit der Deutschen lehnt
ihn nun offensichtlich ab.
Zur Wende spielt Biermann in den
eiskalten Messehallen in Leipzig
ein erstes Mal nach der Ausbürgerung.
Seine „Ballade von den verdorbenen
Greisen“. Er greift noch
einmal zurück auf die alte Politpolemik,
die ihm so vordergründig
jedoch schon lange abhanden kam.
Biermann produziert neues Material,
vor der Wende und danach.
Im „Nur wer sich ändert, bleibt
sich treu“ findet er offensichtlich
sein Lebensmotto. Biermann passt
in keine Schublade mehr. Er stellt
sich seinen jüdischen Wurzeln, tendiert
im Denken von links nach
rechts. Sein Kokettieren mit der
CSU wird ihm schwer verübelt,
noch schwerer die positiven Stellungnahmen
zum Irakkrieg. Diese
wiederum fußen im Anlanden in
Israel und in der Identitätssuche
innerhalb der Familie. Er wird jedoch
niemals ein Rechter. Er bleibt
Biermann. Unbeqem, mitunter hässlich
und arrogant. Jedoch immer
messerscharf im Denken und Polemisieren.
Was bleibt? Ein kleiner alter Gom,
der Ziehvater von Nina Hagen und
der sagenhafte Gitarrenkünstler.
Ein genialer Wortverdreher. Im
Bonmot „Liedermacher können
nicht singen, ABER dafür können
sie auch nicht Gitarre spielen!“,
findet er sich jedoch weniger als
in seinem Lied „Krieg raus wer du
bist und schnüffle nicht Gott hinterher“.
Doch der Bürger auf den Straßen
des Landes, der Biermann vehement
ablehnt, wird wahrscheinlich nur
sehr selten seine Platten und Bücher
je zur Kenntnis genommen haben.
Unbequeme, kauzige Künstler mögen
die Menschen im Lande offensichtlich
weniger als ihre flachen
Pendants. Die Franzosen lieben ihren
Serge Gainsbourg, die Polen
ihren Grechuta, die Russen ihren
Wissotzki. Aber warum lieben die
Deutschen ihre kauzigen Künster
von Rang so wenig? Warum sind
sie ihnen oft suspekt? Eine Hypothese
wäre: Weil sie sich letztlich
selbst nicht lieben! Die Geschichte
wird uns hoffentlich eines Besseren
belehren, was die Bewertung des
Künstlers Biermann angeht. Denn
nicht nur in Wien schaut man voller
Zuversicht in die Vergangenheit,
sondern auch hier.