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Sag zum Abschied leise „Servus“ - Zur Erinnerung an Radim Hladik und Marián Varga

Von Matthias Horwath


Mit Radim Hladik und

Marian Varga verließen

beinahe unbemerkt zwei

musikalische Schwergewichte der

Visegrád-Staaten die Welt der

Musik. Auch wenn sich hierzulande

kaum noch jemand an sie

erinnert, sind sie in Tschechien

und in der Slowakei Heroen der

Rockgeschichte.

Ihre Musik befand sich im ehemaligen

Osten Deutschlands

hauptsächlich auf den ersten Hallo-

Platten von AMIGA. Jedoch

waren sie mit anderen Osteuropäern

aus Ungarn und Polen um

so mehr in den Rundfunksendungen

der verflossenen DDR zu hören!

Die Kulturfunktionäre der

SED versuchten mit ihnen, in den

frühen Jahren der aufkommenden

Honecker-Ära, eine Lücke zu füllen,

die Ulbricht und seine Genossen

mit ihrem verheerenden

Totalverbot des „11. Plenums“ in

der Popularmusik und bei fast

allen freien Künsten hinterließen.

So suchten sie nach der Abschwächung

dieses schlimmen Kapitels

nun in den „sozialistischen Bruderländern“

händeringend nach

Musikern, die professionell Rockmusik

machen konnten. Der eigene

Markt war in den fünf Jahren

von Ulbrichts Totalzensur zum

traurigen Friedhof verkommen.

In der ehemaligen CSSR gab es

dagegen, vor dem Einmarsch der

Truppen des Warschauer Paktes

und selbst danach noch, unzählige

Gruppen und Veröffentlichungen

von Alben, wie die der Gruppe

The Blue Effect aus Prag, die

sich aus den Matadors entwickelten.

The Matadors wurden das

erste erfolgreiche Projekt des

Tschechischen Super-Gitarristen

Radim Hladik. Sie konnten sich

mit ihrer schwarz geprägten Beat-

Musik bis Mitte der sechziger

Jahre paradoxerweise vor allem

im Osteeraum der DDR etablieren

und mit der Matador-Orgel aus

DDR-Produktion sich gleich ihren

Namen geben. The Matadors

brachten jedoch um 1967/68 in

Prag, nach einigen Singles, ihre

erste, englischsprachige LP auf

den Markt. Sie spielten aber auch

in München live zum Musical

„Hair“, einschließlich eines eingespielten

Albums dort! Die Band

spaltete sich über den noch immer

währenden kalten Krieg in einen

West- und in einen Ostpart. Der

Westteil der Matadors ging später

unter Emergency mit einem gewissen

Udo Lindenberg am

Schlagzeug und dem späteren

King-Crimson-Mitglied Richard

Palmer-James seiner Wege. In der

Tschechoslowakei gründete Hladik

nach dem Zerfall der Matadors

„The Blue Effect“. Die Niederschlagung

des Prager Frühlings

im August 1968 zerstörte vieles

an substanzieller Freiheit in der

CSSR. Dennoch konnten The Blue

Effect um 1969/70 ihr Debutalbum

namens „Meditace“, mit einem

psychedelischen Cover gekrönt,

veröffentlichen. Freilich

wurden die Lyrics, zur Hälfte englischsprachig,

zur Hälfte muttersprachlich,

zensiert. Ursprünglich

stammten die Lyrics dieses Albums

von Jaroslav Hutka, einem

Liedermacher und späteren Mitbegründer

der berühmten Charta

77. Hutka musste nach Gründung

der Charta 77 in das politische

Exil gehen. Hladik verließ ab

1970 zusehend die Popmusik und

entwickelte seinen ganz persönlichen

Stil zwischen jazzorientierten

Sounds und metal-gewichtigem,

slawischen Artrock. „Conjunctio“,

das zweite Album der

Band, sprengte um 1970 derartig

die gewohnten Grenzen, dass es

den Kommunisten auf der Prager

Burg wie glühende Eisenteile der

Konterrevolution um die Ohren

geflogen sein muss. „Conjunctio“

gerann zur dreisten Kakophonie

der Sonderklasse, bei der Hladik

mit The Blue Effect eisig-rasende

Gitarrenläufe dem Sound einer

zweiten Jazzrockband gegenübergestellte,

ähnlich Ornette Colemans

legendärem US-Album

„Freejazz“. Ein derartiges Album

auf einem Label einer stalinistischen

Diktatur durchbekommen

zu haben, das leuchtet uns aus

heutiger Perspektive als krasser

Treppenwitz der Geschichte des

totalitären Kommunismus entgegen!

Nur unweit von Hladiks Gitarren,

im übertragenen Sinne wie auch

oft materiell, standen die Orgeln

des Kettenrauchers Marian Varga.

Varga, ein slowakischer Komponist

und Pianist, war ein schlacksiger

Typ mit riesigem Schmollmund.

Er werkelte schon 1968

am ersten Album der Band „Prudy“,

einem der ganz frühen psychedelischen

Alben des Ostblocks.

Die späteren Gründung seiner

Collegium Musicum, vordergründig

an Keith Emersons Musik

orientiert, bezog ihre Wurzeln jedoch

vielmehr aus der Kultur des

ehemaligen „K.u.K“ Österreich-

Ungarns. Haydns Raffinesse, Bartoks

rhythmische Komplexität,

katholisch sakrale Gesänge, Atonalität,

Blues und Jazz, naive

akustische Kinderlieder und Bauernmusik

sowie der alte Wiener

Schlamper finden sich auf beinah

allen Alben des Künstlers in einer

einzgartigen Melange wieder.

Varga und Hladik veröffentlichen

des Weiteren drei gemeinsame

Themen- Alben, mit Collegium

Musicum als hochkarätige Begleiter.

Die meisten Alben der

beiden Künstler Hladik & Varga

sind als CD-Reissue über die üblichen

Internethändler zu haben.

Fast alle Alben sind auch im www

auf den sogenannten „Babyblauen

Seiten“ mit ausführlichen Reviews

gelistet.

Der 1946 geborene Hladik verstarb

am 14. Dezember 2016 in Prag,

der 1947 geborene Varga verstarb

am 9. August 2017 in Cierna

Voda. Sag zum Abschied leise…

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