Schocktherapie für Psychiater - The Velvet Underground

Zirka 30 Jahre sind nunmehr
vergangen, da ich erstmalig
mit der Andy Warhol Truppe
„The Velvet Underground“ in Berührung
kam. Bei „The Black Angel’s
Death Song“ vom 1967 erschienenen
„Banana Album“ dachte
ich, in den Schlund der Hölle zu
blicken. Meine Ohren flogen nahezu
weg, und ich war regelrecht schockiert
vom infernalischen Lärm,
den John Cale auf seiner elektrischen
Viola und Lou Reed auf seiner
Stromgitarre da zelebrierten.
„Hier wird das Publikum regelrecht
verarscht“, war meine erste Reaktion.
Doch irgendwie ging von dem
Stück eine Faszination aus, die
mich nicht mehr los ließ. Und so
begann meine Beschäftigung mit
der wohl wichtigsten Band in der
Geschichte der Rockmusik. Ich besorgte
mir sämtliche verfügbaren
Platten sowie das Gesamtwerk der
beiden Protagonisten und ihrer bildschönen
Frontfrau Nico. Die Liebe
zum Absonderlichen, zur Provokation
und zum Underground
wuchs. Vor meinem inneren Auge
konnte ich das „Greenwich Village“
in New York sehen und musste
mich erneut fragen, warum ich
nicht im Westen aufgewachsen bin?
Denn dann hätte ich die Band in
einer der Metropolen des Rock live
sehen können. Schwamm drüber.
Andy Warhol, der große Zampano
der Popwelt, hatte seinerzeit den
amerikanischen Gitarristen Lou
Reed, der später der Welt erklären
sollte, wie man mit nur vier Akkorden
eine Karriere aufbauen kann,
und den walisischen Avantgarde
Musiker, Pianisten und Bratschisten
John Cale zusammengeführt, um
eine seiner berühmt-berüchtigten
Performances zu veranstalten. Das
war 1966 beim Jahrestreffen der
Psychiatrischen Vereinigung der
USA. Diese hatte Andy Warhol zu
einem Referat eingeladen, und der
Exzentriker nutzte seine Chance.
Mit infernalischem Gitarrenlärm,
dem Gekreische einer elektrisch
verstärkten Bratsche und der bewusst
ausdruckslosen Stimme von
Lou Reed wurden die irritierten
Psychiater über „Heroin“ aufgeklärt
und musikalisch in die globale Psychiatrie
eingewiesen. Eine große
New Yorker Zeitung schrieb hernach
sehr richtig: „Schocktherapie
für Psychiater!“
Lou Reed musste bereits als 17-
Jähriger Erfahrungen mit Elektroschocks
machen. Sein Vater, ein
Steuerberater, wollte ihn damit von
seiner Homosexualität befreien.
Der Erfolg blieb aus, Reed griff
zu den Drogen, wurde abhängig,
aber nicht nach Vietnam eingezogen.
Es folgte die berühmte Liaison
mit der deutschen Schönheit Nico,
um deren Gunst Ende der 60er
Jahre auch Jim Morrison, Leonard
Cohen, Jimi Hendrix oder Brian
Jones buhlten. Die Beziehung endete
schnell, Nico verließ die Velvets
und Reed mobbte auch John
Cale aus der Band. Die musikalischen
Wege hatten sich diametral
entgegengesetzt entwickelt. Während
Lou Reed sehr erfolgreich an
seiner Solokarriere bastelte, arbeitete
Cale lieber mit Nick Drake
oder Brian Eno. Nach seinem ersten
Meisterwerk „Paris 1919“ produzierte
Cale Nicos „Marble Index“,
„Horses“ von Patti Smith oder das
Debütalbum der Stooges. Gerüchte
verkünden, noch in diesem Jahr
werde ein neues Cale-Soloalbum
erscheinen. Lou Reed und John
Cale sind im März 70 Jahre alt geworden.
Die Rockmusik wäre ohne
diese beiden Exzentriker