Tiefes Hörerlebnis berührt die Seele - Die anspruchsvolle Seite des Morten Harket
Von Jutta Kalbhenn

Diese CD überrascht.
Welche Erwartungen man
auch immer haben mag,
wenn man sie einlegt. Wer Morten
Harket kennt als Sänger der
norwegischen Band „a-ha“ wird
schon nach den ersten Takten feststellen,
dass dies hier etwas ganz
anderes ist.
Dieses Album ist eigenwillig,
anspruchsvoll, es verlangt volle
Aufmerksamkeit – und dankt es mit
einem tiefen Hörerlebnis, das die
Seele berührt.
„Poetenes Evangelium“, das
„Evangelium der Dichter“, ist ein
Gemeinschaftswerk namhafter,
norwegischer Künstler. Eine CD,
die Jesu Leben nacherzählt. Ein
Gesamtkunstwerk! Tiefgängige
Texte, gesammelt von Håvard Rem
in der Anthologie gleichen Namens.
Kraftvolle Melodien,
komponiert von Øivind Varkøy.
Einfühlsam interpretiert von
Morten Harket, arrangiert von
Kjetil Bjerkestrand. CD und Booklet
illustriert hat der Priester und
Künstler Bjørn Bjørneboe, Neffe
übrigens eines der zitierten Poeten.
„Jesu Leben in norwegischen
Gedichten“, so der Untertitel, zieht
den Bogen von der Heiligen Nacht
bis zu den Worten des Engels in
Jesu leerem Grab.
„Faktisch gibt es so viele durch das
Evangelium inspirierte Gedichte“,
schreibt Håvard Rem im Booklet,
„dass es, zusammengesetzt, gelesen
werden kann wie eine vollständige
Evangelienerzählung.“
Auf dem Album finden sich Spotlights.
Es sind die Blickwinkel, die
es inhaltlich so spannend machen.
Josef wird ein eigenes Stück gewidmet,
„immer nur ehrlich und gut“
– und im biblischen Geschehen
doch eher Randfigur. Auch kommt
der fiktive Korbmacher zu Wort,
der sich wundert, wofür er eine
Dornenkrone herstellen soll – es
sind eindringliche Stücke, die zum
Nachdenken anregen und die im
Gedächtnis bleiben.
Eine CD, die man nicht nebenbei
hören sollte. Sehr dezent instrumentiert,
aber beeindruckend in der
Umsetzung. Streicher nicht als
bombastisches Orchester, sondern
von Vertavo-Kvartett eher still
gespielt und Keyboard-Sounds von
Kjetil Bjerkestrand bilden das
Gerüst der Songs. „Die“ Stilrichtung
gibt es nicht. Zwischen sanft
und rockig – in voller Bandbreite.
Morten Harket beeindruckt mit
kristallklarer Stimme und bewegt
sich ausdrucksstark zwischen leisen
und kraftvollen Tönen.
Mit diesem ersten Soloprojekt aus
dem Jahr 1993 beweist er sich als
ernstzunehmender, gereifter Sänger,
dessen Stimme dezent und eindringlich
zugleich feinste Textstimmungen
umsetzt. Harket singt
in seiner norwegischen Muttersprache,
was sich angenehm weich
und klangvoll in die Melodien
schmiegt. Da in Norwegen christliche
und weltliche Musik keiner
so klaren Trennung unterliegen wie
hierzulande, ist die CD erfreulicherweise
weit entfernt von religiösem
Kitsch, musikalisch wie
textlich (Auf der Homepage
www.morten-harket.com unter
„Diskografie“ finden sich Übersetzungen
aller Texte).
Das Album hebt sich vollständig ab
von dem, was man von Morten
Harket bis dato kannte - mit „Wild
seed“ und „Vogts Villa“ sollten ihm
übrigens noch zwei weitere folgen,
auf denen er auch selbst als Songwriter
überzeugt.
Nicht nur in einschlägigen Foren
rumorte es, als a-ha im Oktober
2009 ihre Auflösung nach 25-
jährigem Bandbestehen bekannt
gaben. Viele Fans zeigten sich
entsetzt. Zumindest enttäuscht. Wer
Morten Harket als Solokünstler
kennt, wird gespannt sein, welche
musikalischen Projekte er als
nächstes angehen wird. Auf seine
Stimme sowie sein dichterisches
und musikalisches Können wird
man auch in Zukunft hoffentlich
nicht verzichten müssen.