Uralter Tod, wo ist dein Stachel? - Der allerletzte Gruß des „Man in Black“
Von Thomas Steierhoffer

Zum letzten Mal gibt sich der
Mann in Schwarz – wenn
auch postum – die Ehre. Das
Album „American VI: Ain’t No
Grave“ erschien am 26. Februar 2011
genau zu seinem 78. Geburtstag
und bildet den Abschluss der American-
Recordings-Reihe. In seinen
allerletzten Aufnahmen blickt
Johnny Cash zurück auf sein Leben
und sagt endgültig Good Bye!
Die letzten Fotos von Cash zeigen
einen alten, vom Leben gezeichneten
Mann, dem die Arbeit,
das Singen und Musizieren sichtlich
schwer fallen. Immer wieder
müssen die Aufnahmen zu „American
IV: The Man Comes Around“
und „American V: A Hundred
Highways“ mit Rücksicht auf die
fragile Gesundheit des Sängers
unterbrochen werden. Produzent
Rick Rubin erinnert sich, wie ihm
die Nachricht überbracht wurde,
Cash sei ins Krankenhaus eingeliefert
worden. Sofort flog er nach
Nashville, um sich nach seinem
alten Freund zu erkundigen: „Mich
überraschte sein Tatendrang. Wir
wussten beide, dass wir nicht mehr
viel Zeit haben und John befürchtete,
dass diese Aufnahmen seine
letzten sein könnten.“ Cash erlebte
die Veröffentlichung von „American
V“ bereits nicht mehr. Er war
kurz zuvor aufgefahren in den
Himmel der Country- und Folk-
Musik, wo seine geliebte Ehefrau,
June Carter, schon auf ihn wartete.
Sie war einige Monate vor dem
„Man in Black“ nach einer Herzklappenoperation
gestorben.
„Aint No Grave“ bildet nunmehr
den Abschluss einer langen Reise,
die 1994 begann. Zusammen mit
dem New Yorker HipHop-Produzenten
Rick Rubin nahm Cash damals
in seinem Wohnzimmer eine
Reihe klassischer Country-Songs
und natürlich auch Eigenkompositionen
auf. Den minimalistischen,
nur auf die Gitarre und die eindringliche,
immer brüchiger werdende
Stimme des Helden der amerikanischen
Countrymusik reduzierten
Tracks war anfänglich nur
wenig Erfolg prophezeit worden.
Doch kurz nach der Veröffentlichung
überschlugen sich die Kritiker
vor Begeisterung.
Die Serie erreichte 2000 ihren
Höhepunkt mit „American III:
Solitary Man“. Cash coverte auf
intime Art Hits wie „One“ von U2,
„The Mercy Seat“ von Nick Cave
oder das Traditional „Wayfaring
Stranger“. Die Kombination der
unterschiedlichen Klangbilder auf
diesem Album zeichnet einen Abriss
von Cashs Leben und zeigt
Facetten des Sängers und Songschreibers,
die bisher kaum zu
hören waren. Bezeichnend für dieses
Album sind die Duette „Fields
Of Diamonds“ mit seiner Frau
June, „Im Leaving Now“ mit Merle
Haggard sowie der Titel-Song
„Solitary Man“ mit Tom Petty. Die
Songs zeugen von Demut, Spiritualität
und Lebensfreude, aber
auch von tiefer Dankbarkeit. Cash
reflektiert das Leben und dessen
Herausforderungen. An diesem
Punkt knüpft nun das neue und
definitiv letzte Cash-Album an.
„American VI: Ain’t No Grave“ ist
erneut ein zutiefst spirituelles Album
geworden. Jeder Song handelt
vom schweren Weg des Lebens,
den jeder gehen müsse, so Rubin,
der auch dieses Album produziert
hat. Die hier versammelten zehn
Songs stammen aus den Sessions
zum fünften Teil der Serie und
wurden im so genannten Blockhütten-
Studio, dem „Cash Cabin
Studio“ in Henderson, Tennessee
sowie in der „Akademie Mathematique
of Philosophical Sound
Research“ in Los Angeles aufgenommen.
Die Songs behandeln
schmerzlich intime Themen wie
Verlustängste und den für Cash so
typischen Glauben an Gott. So
interpretiert er „Redemption Day“
von Sheryl Crow, „For The Good
Times“ von Kris Kirstofferson oder
Tom Paxtons „Can’t Help But
Wonder Where Im Bound“. Tief
unter die Haut geht auch die bislang
unveröffentlichte Eigenkomposition
des Meisters: „I Corinthians
15:55“. Der Text bezieht sich auf
den ersten Brief des Apostels
Paulus an die Korinther. Hier heißt
es: „Der Tod ist verschlungen in
den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel?
Hölle, wo ist dein Sieg?“ Das enorme
Klangspektrum gerät zu einem
ganz persönliches Statement von
Johnny Cash, das stark vom Verlust
seiner Frau inspiriert zu sein
scheint. Trotz des schmerzlichen
Verlustes blieb Cash damals jedoch
in seinem Glauben unerschüttert
und arbeitete weiter am neuen Album.
„Johnny sagte, dass die
Aufnahmen der Hauptgrund waren,
warum er überhaupt noch am
Leben war“, erinnerte sich Rick
Rubin 2006 in einem Interview.
Einer der größten
Musiker aller Zeiten
Johnny Cash begeistert seine Zuhörer
über Generationen hinweg
und über seinen Tod hinaus. Durch
die große Gabe, die Geschichten
seiner Songs zu seinen eigenen
Geschichten zu machen, lässt er
sein Publikum teilhaben an inneren
Kämpfen und nimmt es mit auf
seinen Weg zu Gott. Wünschen wir
uns nicht alle, den uns bestimmten
Weg zu gehen, Widerstände durch
die Kraft der Liebe zu überwinden
und zu besseren Menschen zu werden?
Das ist nicht immer einfach,
und mitunter tritt man fehl, doch
gerade darin liegt Johnny Cashs
Botschaft: Wir müssen nicht perfekt
sein und dürfen auch versagen.
In größter Not und Verzweiflung
werden wir nicht allein sein. Gott
wird uns beistehen und sein Licht
wird uns „Back Onto The Line“
führen. Das letzte Album zeigt
erneut, dass Johnny Cash zu den
größten Musikern aller Zeiten gehört.
Viel braucht er auch diesmal
nicht. Nur seine Akustikgitarre, ein
Piano, diese brüchige Baritonstimme
und die unglaubliche Ausstrahlung
eines weisen alten Mannes.
Das Album ist nicht nur ein Meisterwerk,
sondern auch das (leider
nur halbstündige) Testament des
Musikers, der Zeit seines künstlerischen
Lebens schwarze Kleidung
trug, um auf die Ungerechtigkeiten
in unserer Welt aufmerksam
zu machen.