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Veröffentlichung: Deutschland liegt in Windeln - Nach 30 Jahren Journalismus zurück in der Pflege


Vorwort

Lange überlege ich schon, welches Wort Thomas am besten beschreibt. Meinen Freund und Bruder im Geiste muss man verstehen, und wenn man es tut, kann man nicht umhin, ihn zu lieben.

Allen komplexen Gedankengängen zum Trotz bleibt am Ende immer nur ein Wort - Wahrhaftigkeit.

Thomas ist einer jener Menschen, von denen es viel zu wenige gibt auf unserem Planeten. Er ist ehrlich, direkt, uneigennützig, idealistisch, frei von Hintergedanken und voller Energie. Er ist laut, emotional, manchmal extrem, aber niemals dogmatisch.

Er gehört zu den Menschen, denen irgendwann eine Therapie verordnet wird, obwohl eigentlich der Rest der Welt sie bräuchte. Eine Therapie, nicht um ihn von irgendetwas zu heilen, sondern um ihm zu helfen, die Welt zu ertragen und bei seinem unumstößlichen Credo zu bleiben: Weitermachen!

Das Schöne an Menschen wie Thomas ist, dass man sehr schnell merkt: man ist doch nicht so allein, wie man manchmal glaubt.

Auf seiner Reise durch die letzten zwei Jahrzehnte der DDR, welcher er seinem Wesen nach die Stirn bie- ten musste, nach weiteren drei Jahrzehnten als angestellter Redakteur und freier Journalist, besann er sich auf seine beruflichen Wurzeln und kehrte als examinierter Fachkrankenpfleger für Geriatrie zurück in den einst erlernten Beruf. Diesmal jedoch als Altenpfleger. So ging es bei ihm, und so wird es weitergehen – da sind Brüche im Leben. Stark, deutlich, radikal, schmerzhaft und oft auch durchaus heilsam. Thomas ist ein Mensch, der seine Angst vor notwendigen Veränderungen niemals die Oberhand gewinnen lässt. Das spürt man auch in seinem Buch.

Ich fühle mich nicht selten an eine Szene in einem meiner ewigen Lieblingsfilme erinnert: “Was macht einen Mann aus, Mr. Lebowski? Ist es, darauf vor- bereitet zu sein, das Richtige zu tun – egal, was es kostet?” Worauf der Gefragte antwortet: “Das und zwei Eier in der Hose.”

Was meinen Freund dabei antreibt, ist die Liebe. Liebe zu den Menschen und ihrem Recht auf Würde. Liebe zu seiner langjährigen Frau, seiner EINEN, seinen Kindern, Enkeln und die Liebe zur Musik. Diese Beziehung ist derart ausgeprägt, das man ihn auch unter dem Namen BeatOpaTM kennt und als absoluten Fachmann schätzt.

Leidenschaftlich beschäftigt er sich mit dem Sound der dunkelsten Jazz-Höhlen von New York bis New Orleans, mit polnischen Geigern und natürlich mit der grandiosen Beatmusik der 60er und 70er Jahre, aber auch mit nicht unumstrittenen Bands wie U2.

Er schöpft Kraft aus einem schier unerschöpflichen Repertoire an seltenen und weniger seltenen Aufnahmen, die er auf ständig neu kombinierten Geräten und Lautsprecherboxen wieder zum Leben erweckt - Kassetten, Tonbänder, Vinyl oder Exoten wie DAT sind bei ihm täglich in Betrieb. Den dabei entstehenden Klang und die resultierenden Emotionen entlässt er ungehemmt in die Welt. Die Liste seiner Musik ist schier endlos, und auch hier ist das ver- bindende Element das der Wahrhaftigkeit.

Bis heute bin ich mir unsicher, ob mein Freund ein gläubiger Mensch ist. Im Kern müsste ich wohl sagen: Ja. Ja, mit der Einschränkung, dass er auch hier nach Wahrhaftigkeit sucht. Klerus, Popanz und Dogmen werden regelmäßig zur Zielscheibe seines beißenden Sarkasmus, der bei allen Extremen trotzdem niemals bestimmte Grenzen überschreitet.

Er mag manchen Zeitgenossen verfluchen, im Grunde seines Herzens wünscht er ihm aber nicht das Verderben, sondern die Einsicht - jene Einsicht in die Wahrhaftigkeit der Dinge, die ihm als große Gabe geschenkt wurde. Genau die Einsicht, die ihn bei allen Zweifeln und Widrigkeiten das Richtige tun lässt.

Im vorliegenden Buch geht es um seine Rückkehr in die Pflege, konkret die Altenpflege. Was er dort vorfand, beschreibt er sehr eindrücklich und in der ihm eigenen Art: nah an den Menschen, offen und ehrlich, ohne Anklage oder Wertung des vorherrschenden Systems - einfach wahrhaftig eben.

Wer wissen will, wie es um Deutschland und das eigene Altern bestellt ist, der wird sich hier auf emotionale Art abgeholt fühlen - ohne Pathos, ohne die ewig gleichen Anklagen und die allgegenwärtig jammernde Kritik am System.

Dazu ist Thomas zu wahrhaftig. Er zeigt, was ist. Und er versucht die andere Wahrnehmung, die an- dere Realität der an Demenz erkrankten Menschen zu erfassen und sensibel zu beschreiben. Das Bild darf sich jeder selbst machen. Und vielleicht auch darüber nachdenken, was das eigene Handeln bewirken kann.

Christian Knoche, Mainz im März 2022

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Leseprobe:

Solidarität und Völkerverständigung

Seit meiner Schulzeit wurde ich immer mal wieder mit sogenannten Solidaritätsbasaren belästigt. Ständig gab es jemanden, den die DDR aus den Klauen der imperialistischen Machthaber freikämpfen wollte. Ich erinnere mich an Angela Davis, Luis Corvalan oder den Psychopathen Dean Reed. So waren wir als Schulkinder gefordert, den von unseren Müttern gebackenen Kuchen in den Unterrichtspausen an unsere Mitschüler zu verkaufen oder selbst gehäkelte Topflappen feilzubieten. Das erzielte Geld wurde am Ende in irgendwelche Töpfe eingezahlt, die sich beispielsweise Solidarität mit dem um seine Freiheit kämpfenden Volk von Angola nannten. Mir war diese Propaganda immer ein Graus, zumal so manche Pause dabei draufging.

Anyway, auch ganz kurz nach meinem ersten ersten Tag in der Krankenpflege hatte Oberschwester Erika, die eine stramme SED-Genossin war, einen Solidaritätsbasar organisiert. Alle Mitarbeiter waren auf- gerufen, irgendetwas zu spenden. An den Zweck dieser Aktion kann ich mich nicht mehr erinnern. Jedoch traute ich meinen Augen nicht, als ich ganz früh den Raum betrat, in dem der Basar abgehalten wurde. Zwischen Plastikgeschirr, Tischdecken und folkloristisch angemalten Eierbechern aus Holz lagen sie. Unglaublich! Jemand hatte sich im Geiste der Solidarität mit den vom Imperialismus geknechteten Völkern der Welt tatsächlich getrennt von Led Zeppelin, The song remains the same und von Black Sabbath, Master of Reality. Oberschwester Erika hatte mit Kugelschreiber auf die Cover beider Alben 5,- gekratzt. Dabei war ihr offensichtlich nicht auf- gefallen, dass es sich bei Led Zeppelin um das legendäre Doppelalbum handelte, das den Sound- track zum gleichnamigen Film über den Live-Auftritt der Band im New Yorker Madison Square Garden vom 27. bis 29. Juli 1973 wiedergibt. Aus der Perspektive eines heutigen Plattensammlers ist die Preisgravur im Zentrum der Cover natürlich ein Sakrileg, jedoch damals fühlte ich mich wie im Himmel meiner Träume. Schnell zählte ich zehn Mark der DDR in Alu-Chips ab, griff die Platten, bezahlte bei Oberschwester Erika, klemmte mir die heiligen Vinylscheiben unter den Arm und begab mich auf schnellstem Weg in mein Zimmer, wo ich die RFT-Anlage mit den Drei-Wege-Boxen aufgebaut hatte. In meinem Glück hatte ich nur einen Gedanken: Niemand kann euch mir wieder wegnehmen!

Den Preis kann ich bis heute nicht wirklich glauben. Wenngleich beide Alben in durchaus gebrauchtem Zustand auf meinem Plattenteller knisterten, hätte ich doch auf dem Schwarzmarkt der illegalen Plattenszene von Ost-Berlin mindestens 300 Mark berappen müssen. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Als ich schließlich zur Seite 3 von The song remains the same kam, wurde mir unmittelbar bewusst, eine der großartigsten Plattenseiten in der Geschichte der Rockmusik zu hören. No Quarter bildet sozusagen die Hinführung zur Hymne einer ganzen Generation: Stairway to heaven. Dieses Monument in Moll war 1971 zuerst auf dem Studioalbum Led Zeppelin IV erschienen. Was Robert Plant, Jimmy Page, John Bonham und John Paul Jones jedoch im Madison Square Garden mit dem Stück veranstalten, erreicht in der atemberaubenden Improvisation den Status musikalischer Genialität. Fünf Ost-Mark hatte ich auf dem von Oberschwester Erika organisierten Solidaritätsbasar für das Meilensteinalbum bezahlt. Bis heute ist es mir unbezahlbar. Der Gott des Rock persönlich hatte mir jene Leiter angelegt, auf der ich wie von Engeln getragen in den Himmel aufsteigen konnte. Von dort oben ergab sich mir eine völlig ungeahnte Perspektive. Plötzlich war ich Feuer und Flamme für Völkerverständigung und Solidarität, mein Herz schlug unvermittelt für das Proletariat und für die um ihre Unabhängigkeit von imperialistischen Mächten kämpfenden Völker. Meine Liebe zur Arbeiterklasse, zu Solidaritätsbasaren und später zu privaten Flohmärkten war geboren.

Ob die von mir investierten 10 Mark der DDR tatsächlich bei den kommunistischen Revolutionären in Angola, Chile oder Nicaragua angekommen sind, eventuell auch zur Finanzierung des palästinen- sischen Terrors gegen Israel und den Westen unter Jassir Arafat Einsatz fanden oder doch nur zur weiteren Befestigung des antifaschistischen Schutzwalls in der Endphase der DDR genutzt wurden, bleibt wohl für immer das Geheimnis von Oberschwester Erika.


Thomas Steierhoffer, Zepernick-Berlin im Oktober 2022

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