„Wüstenblume“
Von Yvonne Böttcher

Ein kleines dreijähriges somalisches
Mädchen wandert
durch die Wüste Afrikas an
der vermeintlich schützenden Hand
ihrer geliebten Mutter. Es ist ein
Weg den Millionen Mütter vormals
mit ihren kleinen Mädchen gegangen
sind und immer noch gehen.
Am Horizont erscheint eine Frauengestalt
die sich Mutter und Tochter
nähert, die Kleine hält sich
sicher fühlend, doch von Unbehagen
begleitet, fest an der schützenden
Hand ihrer geliebten Mutter.
Ehe sie die Situation erfassen kann,
findet sie sich auf dem Boden im
Schoss ihrer Mutter wieder, vor
ihr kniend die fremde Frau, die ihr
mit einer gewaltigen Brutalität die
Beine auseinander reißt. Die Kleine
schreit, weint ,wimmert, blickt mit
grossen entsetzten, von Angst gezeichneten
Augen hilfesuchend ihre
Mutter an, die sie ebenfalls fest
hält und das schlimme Unglück
nicht verhindern wird…
Es ist eine Szene aus dem Film
„Wüstenblume“; stellvertretend für
Millionen Mädchen, denen dieses
Schicksal aus traditionellen Gründen
in Afrika, aber auch in der
westlichen Welt, selbst in Europa,
nicht erspart bleibt, es ist die Autobiografische
Verfilmung von Waris
Dirie, die als eine Tochter Afrikas
geboren, im Gefüge eines somalischen
Nomadenstammes aufgewachsen
ist und mit 13 Jahren die
Flucht ergreifen muss, um einer
Zwangsheirat mit einem über 60jährigen
Somali zu entkommen.
So lässt sie ihre Familie und ihr zu
Hause hinter sich, um sich zu Fuß
auf einen schmerzhaften und langen
Weg nach Mogadischu zu ihrer
Großmutter zu machen, die ihr helfen
wird, das vom Krieg bedrohte
Heimatland zu verlassen mit einer
Anstellung als Dienstmädchen in
der somalischen Botschaft Londons,
die sie aber nicht verlassen darf.
Als der Somaliakonflikt ausbricht,
muss Waris aus der Botschaft fliehen
und kämpft sich als Obdachlose
durch die ihr fremde westliche
Welt.
Ihr Leben bekommt eine erneute
Wende, nachdem sie sich mit einer
Londoner Szeneverkäuferin anfreundet,
die ihr einen Job in einer
Fastfoodkette als Putzfrau verschafft.
Durch Zufall wird Waris von dem
Starfotografen Terry Donaldson
entdeckt, der sie zu einem der meist
gefragtesten Top Models der Welt
macht.
Aber auch hier kommt es immer
wieder zu Problemen, denen sich
Waris stellen muss und begreift,
dass sie ihre Vergangenheit weder
leugnen, noch abschütteln kann…
Sherry Hormann (Regie) hat es
verstanden, Waris Geschichte einfühlsam
in den Film zu übertragen,
an den wichtigen Stellen aber doch
zu kürzen, ohne dabei die Ernsthaftigkeit
und unglaubliche Tragik
einer Biographie zu rauben, die jedem
Zuschauer für einige Sekunden
den Atem raubt.
Die Hauptrolle in diesem Film der
Waris Dirie wird charmant und
eindrucksvoll von Liya Kebede gespielt.
Sie transportiert authentisch
die Emotion, Kraft, Schönheit und
den Mut dieser beeindruckenden
Frau, die sich nicht unterkriegen
lässt.
Oskar-Preisträger Peter Herrmann
(Produktion) trifft genau die Mischung
an Szenen, die gerade noch
erlaubt, den Film in einer skurrilen
Art und Weise „schön“ zu finden
und sich gleichzeitig mit dem
Schicksal unerwartet vieler Frauen
auseinanderzusetzen.
Dieser mehrfach zu Recht ausgezeichnete,
preisüberhäufte Film ist
von einer eindrucksvollen Intensivität
und Wucht geprägt, die lange
nachschwingt. Diesen anspruchsvollen
Film, der auf DVD erhältlich
ist, sollte man definitiv gesehen
haben!
Es ist gelungen die Mission von
Waris Dirie in den Vordergrund zu
stellen, nämlich, auf das Tabuthema
der Genitalverstümmelung an kleinen
und jungen Mädchen aus rein
rituellen und nicht religiösen Gründen
aufmerksam zu machen und
der Frau Respekt und Bewunderung
zu zollen, die als erste Afrikanerin
diese Tradition anprangerte in einem
massiven Tabubruch in derart breiter
Öffentlichkeit: dem Schicksal, das
Frauen im Namen der Tradition
gnadenlos auferlegt wird.
Ein Schicksal, das in anderen Normen
gedacht, akzeptiert oder leidvoll
geduldet wird und in vielen
Teilen der Welt auch heute noch
täglich über 8.000 kleinen Mädchen,
weiblichen Säuglingen und Jugendlichen
widerfährt. Und dies auch,
unvorstellbar, versteckt im modernen
Westen. Allein in New York
werden immer noch pro Jahr rund
50.000 Mädchen genital verstümmelt
- trotz offiziellem Verbot in
vielen Ländern.
Waris Dirie wurde 1997 von UNGeneralsekretär
Kofi Annan zur
offiziellen Botschafterin im Kampf
gegen dieses grausame Ritual ernannt
und kämpft weiterhin auch
mit ihrer Stiftung „Desert Flower
Foundation“ der sich etliche Vereine
und Verbände angeschlossen haben,
um gemeinsam Aufklärungsarbeit
zu leisten, Frauen zu helfen indem
sie versuchen zu verhindern, dass
deren Töchter genital verstümmelt
werden, sie vor ihren Ehemännern
und anderen Mitgliedern dieser
Gemeinschaften ausgestoßen und
misshandelt werden.
Kurzum „Desert Flower Foundation“
hat das Ziel, durch Öffentlichkeitsarbeit,
Netzwerkarbeit, Informationsveranstaltungen
und
Schulungen sowie durch Direkthilfe
diesem Verbrechen ein Ende zu
setzen. Ein Lebenswerk, an dem
es sich lohnt mitzuwirken, sei es
durch Thematisierung dieses Tabus,
sich selbst damit auseinanderzusetzen
und nicht wegzuschauen
oder zu spenden.