„What costume shall the poor girl wear?“ - Sie nannte sich „Nico“ und war die schönste Frau der Welt
Von Gabriele Heuze

Es war der 18. Oktober 1938,
bis zum Ausbruch des Krieges
sollte noch fast ein Jahr
vergehen, da wurde in Köln ein
Mädchen geboren. Ihre Eltern nannten
sie Christa, Christa Päffgen.
Christas Vater stammte aus Köln,
seiner Familie gehörte die Päffgen-
Brauerei. Er musste im Krieg
an die Ostfront, kehrte nach dem
Krieg nicht mehr zur Familie zurück.
Nach dem Ausbruch des Krieges
floh die Mutter mit ihr nach Lübbenau
im Spreewald. In Berlin bekam
sie eine Stelle als Schneiderin
und im KaDeWe verkaufte sie Damenmoden.
Christa wuchs zu einem
hübschen Mädchen heran. Mit Hilfe
ihrer Mutter bekam sie ebenfalls
im KaDeWe eine Stelle als Verkäuferin.
Mit ihrer Größe von 1,75
Metern und ihrem attraktiven Äußeren
wurde sie im KaDeWe als
hauseigenes Vorführmädchen eingesetzt.
Das war der Anfang ihrer
späteren Karriere. Im Alter von 15
Jahren wurde Christa nach eigenen
und anderen Aussagen von einem
GI der US Air Force vergewaltigt,
der für diese Tat zum Tode verurteilt
wurde. Dieses Trauma verarbeitet
sie mit dem Song „Secret Side“,
erschienen auf dem Album „The
End“.
Mit 16 Jahren entdeckte sie der
Modefotograf Herbert Tobias. Dieser
verschaffte ihr Aufträge für
Modefotos, als nach dem Krieg
die ersten Modezeitschriften auf
den Markt kamen.
Christa gefiel dieses Leben und
sie ging von der Schule ab. Ab
1954 arbeitete sie hauptberuflich
als Mannequin. Heinz Oestergaard,
Deutschlands bekanntester Modeschöpfer
nach dem Krieg, verschaffte
ihr Aufträge für internationale
Magazine. Er war es auch,
der ihr den Namen „Nico“ nach
dem Filmemacher Nico Papatakis,
ein Freund von Herbert Tobias,
gab. Christa probierte mehrere
Künstlernamen, bis sie bei Nico
blieb. Ende der 1950er Jahre war
Nico das erfolgreichste deutsche
Mannequin, heute wäre sie ein Supermodel.
Nun versuchte sie, im Filmbusiness
einen Platz zu finden. Sie bekam
Statistenrollen, vorerst noch ohne
Text, und drehte Werbespots.
1960 gab ihr Federico Fellini in
seinem Film „La Dolce Vita“ eine
größere Rolle. Aufgrund ihrer großen
Bekanntheit spielte sie sich
selbst. In dieser Zeit lernte sie
Alain Delon kennen und lieben.
1962 wurde Delons Sohn Ari geboren,
den er nie als Sohn anerkannte.
Jetzt lebte Nico ein Jet-Set-Leben
zwischen London und Paris. Sie
kam in die Musiker- und Produzentenszene,
lernte Bob Dylan,
Brian Jones und Jimmy Page kennen.
Und es zog sie nach New
York. Dort angekommen, besuchte
sie die Schauspielschule von Lee
Strasberg, eine Klassenkameradin
war Marilyn Monroe. In New York
lernte sie Andy Warhol kennen,
mit dem sie mehrere Filme drehte.
Warhol war von ihr begeistert, ihre
Größe und Schönheit öffnete ihr
Türen und Tore. Nico wurde Teil
von Warhols Factory. Er war es
auch, der sie mit Velvet Underground
zusammenbrachte.
Das Debütalbum „The Velvet Underground
& Nico“, das Bananenalbum,
wurde von Andy Warhol
produziert, gestaltet und vermarktet.
Die Musik und Nicos tiefe, charakteristische
Stimme machten dieses
Album zu etwas Einzigartigem,
danach gab es keine weitere Zusammenarbeit
mit der Band. Lou
Reed hatte zwar eine kurze Liebesbeziehung
mit Nico, er war jedoch
nicht damit einverstanden,
mit Velvet Underground lediglich
noch als Nicos Begleitband zu fungieren.
Nico „durfte“ drei Songs
singen, bei Auftritten der Band
hatte sie gut auszusehen und schlug
das Tamburin. Das wiederum gefiel
Nico nicht, sie wollte eine Gesangskarriere
machen. Lou Reed
sorgte dafür, dass Nico die Band
verließ, deren offizielles Mitglied
sie nie war. Das Bandmitglied John
Cale ließ sie nicht fallen und förderte
sie weiterhin.
Ihrer Solokarriere stand nichts mehr
im Weg. 1965 kam ihre erste Single
auf den Markt, das Album „Chelsea
Girl“ folgte 1967. Auf diesem Album
sang sie Songs von Bob Dylan,
Tim Hardin, Lou Reed, Jackson
Browne und John Cale. Es gab nur
einen einzigen Song von ihr, ein
Mitspracherecht hatte sie bei der
Produktion nicht. Nico gefiel diese
Platte nicht.
Bis 1984 folgten fünf weitere Alben.
1968 produzierte John Cale mit
ihr das Album „The Marble Index“.
Jim Morrison, Sänger der Doors,
hatte sie ermutigt, eigene Songs
zu schreiben. Mit Jim Morrison
hatte sie eine stürmische, von LSDTrips
geprägte Beziehung. Ihre eigenen
Songs waren unkonventioneller,
hatten jedoch nicht den Erfolg,
den sie sie wünschte. „Es ist
ein Kunstprodukt. Man kann Selbstmord
nicht verpacken“ John Cale
zu dem Album. Trotz des finanziellen
Misserfolgs gilt dieses Album
als Vorreiter von Dark Wave,
Gothic und Punk.
1970 folgte das ebenfalls von John
Cale produzierte Album „Desertshore“.
1974 kam das Album „The End“
auf den Markt. Der Werbeslogan
der Plattenfirma lautete: „Warum
Selbstmord begehen, wenn Sie
diese Platte kaufen können?”
1981 nahm Nico das Album „Drama
of Exile“, ihr vorletztes Studioalbum,
auf. Nachdem die Masterbänder
verschwanden, wurde
das Album ein zweites Mal in veränderter
Besetzung aufgenommen.
1984 produzierte John Cale ihr
letztes Studioalbum „Camera Obscura“.
Nach ihrem Ausstieg aus der „Warhol-
Familie“, ihre äußeren Veränderungen,
sie färbte sich die Haare
mit Henna, trug nur noch schwarze
Kleidung, kehrte Nico nach Europa
zurück. Der steigende Drogenkonsum
tat sein Übriges, sie verlor
immer mehr die Kontrolle über ihr
Leben. Ihr Sohn Ari wuchs bei den
Eltern Delons auf. Der zweite Ehemann
von Delons Mutter adoptierte
ihn, er hieß jetzt Ari Boulogne.
Nico hatte den Prozess um Feststellung
der Vaterschaft verloren,
sie hatte nach der Geburt Delon
nicht als Vater angegeben.
Schon während ihrer Zeit als Model
in Paris begann Nico Drogen zu
nehmen. Anfangs Cannabis und
Amphetamine, während einer Affäre
mit Philippe Garrel, einem französischen
Schauspieler, Drehbuchautor
und Regisseur, begann sie
Heroin zu spritzen. Nico war drogenabhängig.
Diese Sucht ging so
weit, dass sie die Mitglieder zum
Spritzen von Heroin überreden
wollte. Ihr Sohn Ari der sich mit
17 Jahren entschloss, mit seiner
Mutter zu leben, wurde von ihr
„angefixt“. Er war mit ihr auf Tournee,
der Drogenkonsum steigerte
sich, Ari fällt nach einer Überdosis
in ein dreiwöchiges Koma. Nicos
Sohn ist ein Wrack und sieht aus
wie Alain Delon aus dem Gesicht
geschnitten.
Dieser jahrelange Drogenmissbrauch
ging auch an Nico nicht
spurlos vorüber. 1985 entschließt
sie sich zu einem Entzug, kommt
in ein Methadonprogramm. Nico
wird clean von den harten Drogen,
konsumiert jedoch bis zu ihrem
Tod Cannabis. Sie hat schlechte
Zähne, ihr Körper war mit Einstichnarben
übersät. Einerseits hat
sie ihre Schönheit gehasst, andererseits
schämte sie sich, wegen
ihres ein wenig verunstalteten Körpers
zum Arzt zu gehen. Das Aneurysma
in ihrem Kopf wurde nicht
entdeckt.
1988, am 18. Juli, fand man sie
auf Ibiza neben ihrem Fahrrad liegend.
Einige Ärzte in verschiedenen
Kliniken weigerten sich ihr zu helfen.
Als endlich eine Behandlung
begann, war es zu spät. Christa
Päffgen, genannt Nico, wurde im
Grab ihrer Mutter auf dem Friedhof
Grunewald-Forst am Schildhorn
beerdigt. Sie war 49 Jahre alt.