Zum Tod von Richie Heavens
Von Matthias Horwath

Der aus Brooklyn stammende
Richie Havens, Sohn einer
Künstlerfamilie und musikalischer
Opener des Woodstock-
Festivals, ging im April 2013 von
uns. Er hinterlässt als schwarzer
Folk-Sänger, Maler und Schauspieler
ein Vermächtnis der Individualität,
des Ringens um Freiheit
und um Würde.
1969, im Jahr von Woodstock, gab
es im geteilten Deutschland ganze
fünf Fernsehkanäle. Deren Reichweite
versickerte östlich des Landes
in den Schwaden der russischen
Revolution gelegentlich zu einem
einzigen Rest-Kanal Ost. Die Kunde
des berühmtesten Rockfestivals aus
den Staaten schob sich jedoch mit
der Zeit und Schwierigkeiten lavaartig
auch in die verstecktesten
Winkel der Welt. Die Dresdner
Band DekaDANCE brachte das
Ganze drei Jahrzehnte später mit
ihrem ersten Album im sächsischamerkanischen
Slang auf den Punkt:
„es gibt dry Schweirigkeiten, nach
Amerika zu kommen. Uber die
erste Schweirigkeit müssen wir
hier nikt sprekken“. Die unüberwindbare
Mauer sollte für uns Politorientalen
das vermeintlich politische
Gift fernhalten. Es gab also
im Fernsehen der DDR keinen
Woodstock-Film und nichts dergleichen.
Es gab in den Plattenläden
der DDR auch keine Woodstock-
Alben, weder das berühmte Dreifachalbum,
noch das Doppelalbum.
Es gab jedoch in Hülle und Fülle
„Peter Schreier singt Volkslieder“.
In den Buchläden langweilten sich
schon mal KlopSTOCK und seine
Freunde, mit denen uns die Pauker
in den Schulanstalten quälten. Der
stalinistische Staatsbürgerkundelehrer
aus der sächsischen Provinz
erklärte mit grollender Stimme,
dass uns „die Beatmusik nur die
Gehirrrrne verstopft“, und selbst,
wenn wir „Beethoven im Deutschlandfunk
hörten, wir uns mit Beethoven
den Klassenfeind ins Haus
holten“. In dieser geistigen Dürre
waren wir geistig mutter- und vaterlose
Kinder (Motherless Child),
wie Richie Havens sang, die nicht
wussten, was Freiheit bedeutet.
Selbst die russische Revolution
wurde nur als politischer Blockbuster
verkauft, jedoch niemals als
potentielles Modell zum eigenen
Befreiungsschlag. Doch selbst die
dichteste Mauer der Welt konnte
nicht verhindern, dass wir uns mit
exzellenten Persönlichkeiten der
Freiheit, ihrem hippen Lifestyle,
ihrer ganz eigenen Welt und ihrer
Sehnsucht nach Wahrheit langsam
aber sicher geistig verbündeten.
Die ideologische Ödnis der östlichen
Medienkanäle entfaltete dazu
mit enormer Energie ein gefährliches
Vakuum. So wurden Bücher,
Schallplatten und später Videokassetten
der begehrten Stars aus
Kunst, Literatur und Musik geschmuggelt
oder kopiert, schwarz
gehandelt und regelrecht eingesogen.
Deshalb kannten hier trotz
dieser Mauer viele Menschen wenigstens
die ganz großen Helden
jenseits des experimentellen Großgefängnisses
DDR. Mit den auch
hier illegal gehandelten Woodstock-
Alben zum Beispiel eröffnete sich
für uns, mit dem geöffneten Cover,
nicht einfach nur der begehrte Gegenstand.
Es öffneten sich damit
weite GATES OF FREEDOM, die
geistigen Tore zur Freiheit: Wow,
wie der bis dato uns unbekannte
schwarze Folksänger Richie Havens
als improvisierender, mehr oder
weniger zufälliger Opener des Festivals
mit seiner archaischen Daumen-
Schrubb-Gitarre und seiner
Percussion loslegte! Und wie später
im berühmten Festival-Film zu sehen,
Havens gleich Othello in unglaublicher
Präsenz, bunten Gewändern
und in extatischer Bewegung
sein „Sometimes i feel like a
motherless child“ und das „Freedom,
Freeeeeedom“ in die Welt
rief. Man, das waren ja wir selbst!
Wir gehörten doch dazu! Unser
Gegner war nicht der vorgegaukelte
Klassenfeind. Unsere Gegner waren
die Feinde der Freiheit, waren die
Engstirnigen und die chronisch
Stupiden - mitten unter uns! Dies
lehrten uns nicht nur die Künstler
von Woodstock wie Richie Havens
oder Jimi Hendrix, sondern zunehmend
auch Helden diesseits der
Mauer. Aber zu den vielen Initialzündern
der gelebten Freiheit gehörte
Havens allemal. R.i.p. in
Heaven, Havens!